AZRAEL
»Aber verschwinden Sie endlich.«
Er hob seine Waffe, nicht einmal sehr weit, vielleicht um zehn Zentimeter, so daß sie noch lange nicht auf sein Gegenüber deutete, aber die Bewegung reichte trotzdem, den Mann aus seiner Erstarrung zu reißen. Er keuchte erschrocken, ließ die Taschenlampe fallen und stürmte davon.
»Los jetzt!« sagte Sendig. »Bremer!«
Bremer verstand. Ohne auf Marks schwache Proteste zu achten, ergriff er ihn wieder auf die gleiche Art wie gerade und zog ihn auf die offenstehende Tür des Laborgebäudes zu. Sendig folgte ihnen in einem Schritt Abstand, sah sich aber im Laufen immer wieder um. Von irgendwelchen Verfolgern war noch nichts zu sehen, aber daß sie niemanden sahen, mußte nicht bedeuten, daß sie nicht gesehen wurden. Außerdem wurde in der Fabrik gearbeitet. Hinter einigen Fenstern brannte Li cht, und Bremer hörte das Geräusch ferner laufender Maschinen, Er ertappte sich bei dem Gedanken, daß es ein Fehler gewesen war, den Pförtner gehen zu lassen. Er machte sich keine Sorgen darum, daß er die Polizei rief - was immer dort unten im Keller auf sie wartete, sie würden garantiert zu spät kommen, um noch irgend etwas zu ändern -, aber er hatte wenig Lust, sich mit einem Dutzend aufgebrachter Arbeiter herumzuschlagen, die ihre helle Freude daran hatten, zwei vermeintliche Einbrecher auf frischer Tat zu schnappen.
Kurz bevor sie die Tür erreichten, blieb Mark plötzlich stehen. Bremer spürte, wie er sich für einen Sekundenbruchteil versteifte und dann am ganzen Leib zu zittern begann. »Was ist los?« fragte er erschrocken.
»Sie... sie kommen«, murmelte Mark. »Sie kommen hierher!«
Bremer sah sich instinktiv erschrocken um. Der Pförtner verschwand gerade in diesem Moment in seinem Torhäuschen, aber der Hof war immer noch leer. »Wer?« fragte er.
»Sie kommen«, wiederholte Mark. »Sie... sie kommen mich wieder holen.«
45. Kapitel
H aymar gab auf. Mit einer Wucht, die das eigentlich sehr Hstabile Plastikgehäuse knirschen ließ, rammte er das Funkgerät in den Halter am Armaturenbrett zurück.
»Meldet er sich nicht?« fragte Brauss.
Nein, dachte Haymar wütend. Das ist es nicht, Idiot. Ich habe aus purer Langeweile ungefähr fünfundzwanzig Mal versucht, den Wagen zu erreichen, und immer im letzten Moment abgeschaltet. Irgendwann in nicht mehr allzu ferner Zukunft würde er Brauss beiseite nehmen und sich mit ihm von Mann zu Mann unterhalten. Und sollte Brauss danach noch in der Lage sein, seinen derzeitigen Beruf auszuüben, würde er sich garantiert einen anderen Partner suchen.
»Irgendwas stimmt da nicht«, murmelte Brauss. »Jetzt haben sie auch das Licht ausgeschaltet. Wir sollten nachsehen.«
»Kommt nicht in Frage«, erwiderte Haymar. »Berger war ziemlich eindeutig. Wir beobachten, mehr nicht. Bis wir andere Befehle bekommen«, fügte er mit einer Kopfbewegung auf das Funkgerät hinzu, mit dem er seit gut fünf Minuten vergeblich versucht hatte, genau diese anderen Befehle zu hören. Oder wenigstens irgend etwas.
Das schlimmste war, daß er Brauss insgeheim recht geben mußte. Irgend etwas stimmte dort vorne auf dem Fabrikgelände wirklich nicht. Haymar arbeitete jetzt seit annähernd zehn Jahren für die Abteilung und für Berger, und wenn er eines über seinen Chef wußte, dann, daß er ein Sicherheitsfanatiker war. Er ging nie ohne seine drei Bodyguards aus dem Haus, und er ließ prinzipiel l einen der Männer als Eingreif reserve zurück - und ein ei ngeschaltetes Funkgerät. Den Ap parat nicht ununterbrochen empfangsbereit und die Ohren auf weniger als hundertfünfzig Prozent Aufmerksamkeit zu haben war eine ziemlich sichere Methode, am nächsten Tag nicht mehr als Leibwächter des Chefs zu arbeiten. Haymar war es vor nicht allzu langer Zeit genauso gegangen.
Jetzt meldete sich der Posten seit fünf Minuten nicht mehr. Brauss hatte recht. Irgendwas war faul. Trotzdem sagte er noch einmal: »Wir warten.«
Er sah seinem jungen Kollegen an, wie gerne er widersprochen hätte. Daß er es nicht tat, lag einzig an seinem - Haymars - Ruf. Er stand in der Hackordnung der Abteilung noch ein gutes Stück unter Berger, aber er war dafür bekannt, das, was er an Brutalität und Streitlust zuviel hatte, mit einem Mangel an Geduld zu kompensieren. Haymar wußte, daß ihn einige seiner Kollegen für einen Psychopathen hielten, aber das empfand er eher als Kompliment - solange niemand den Fehler beging, es ihm ins Gesicht zu sagen, allerdings.
Aber
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