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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zwischen den Bäumen. Nichts? dachte er hysterisch. Das war alles gewesen, nur nicht nichts.
    »Erschrocken?« fragte Brauss ungläubig. »Wovor? Sie —«
    »Ich sagte doch, es war nichts«, unterbrach ihn Haymar grob. »Und jetzt fahren Sie endlich los! Aber vorsichtig.«
    44. Kapitel
    Was machen wir, wenn sie uns nicht durchlassen?« fragte Bremer, während er um den Wagen herumging und die Tür auf der Beifahrerseite öffnete. Er hatte ganz automatisch wieder hinter dem Steuer Platz nehmen wollen, aber Sendig hatte abgewinkt Aus irgendeinem Grund wollte er das letzte Stück nicht nur vorne mitfahren, sondern selbst das Steuer übernehmen. Bremer konnte sich nicht erklären, wieso - aber er hatte das Gefühl, daß ihm die Antwort nicht besonders gefallen hätte, hätte er sie gekannt. Sendig war ganz in der Stimmung, etwas sehr Dummes zu tun. Noch während er sich auf den Beifahrersitz hinaufzog und die Tür schloß, spielte er ernsthaft mit dem Gedanken, einfach darauf zu bestehen, selbst zu fahren. Aber er sprach diesen Wunsch nicht laut aus. Sendig war noch immer sein Vorgesetzter. Das hieß - mit ziemlicher Sicherheit war er es nicht mehr, aber die alten Spielregeln von Gehorchen und Befehlen funktionierten noch immer. Niemand legte eine zwanzig Jahre alte Gewohnheit innerhalb weniger Stunden einfach so ab.
    »Was sollen wir schon tun?« Sendig drehte einen Moment vergebens am Zündschlüssel, bis er begriff, daß sie in einem betagten Diesel saßen, und den Daumen auf den Startknopf preßte. Der Motor sprang sofort an. »Sie wissen doch, wie das in amerikanischen Krimis läuft, oder? Wir brechen durch das Tor. Was sonst?«
    »Ich finde das nicht im geringsten komisch«, sagte Bremer. Das entsprach der Wahrheit. Er war nicht nur im Zweifel – er war ziemlich sicher, daß Sendig diese Worte ernst meinte.
    »Ich auch nicht. Entschuldigen Sie.« Sendig legte den Gang ein, fuhr aber noch nicht los. Sein Blick tastete durch die Fahrerkabine und blieb an einem Punkt hinter und über Bremer hängen. »Wie ich schon sagte - gottlob ist das hier ein sehr ordentlicher Haushalt. Geben Sie mir eine davon.«
    Bremer sah in die gleiche Richtung und entdeckte zwei signalrote Jacken, die an einem Haken hinter ihm hingen. Er t at, worum Sendig ihn gebeten hatte, und gab ihm eines der Kleidungsstücke. Sendig nahm den Gang wieder heraus und begann umständlich, die Jacke über seinen Mantel zu streifen, ein Vorhaben, das hinter dem Steuer des Wagens nahezu zu einem akrobatischen Kunststück geriet. Das Ergebnis sah einigermaßen lächerlich aus. Die Jacke war Sendig um mindestens drei Nummern zu groß, und man sah deutlich, daß er darunter einen Mantel und ein zweites Jackett trug. Diese Verkleidung würde nicht einmal einem flüchtigen Blick standhal ten, geschweige denn irgend jemanden täuschen. Trotzdem schlüpfte er nach kurzem Zögern selbst in die zweite Jacke - und stellte fest, daß sie ihm viel zu klein war.
    »Tauschen wir?« fragte er.
    »Wozu?« Sendig bedachte Bremer mit einem breiten Grinsen, legte den Gang wieder ein und ließ den Wagen langsam losrollen. »Das lohnt nicht. Außerdem - da fühlt man sich doch wieder richtig jung, oder? Wie damals beim Bund. Einheitsgröße - und paßt! Waren Sie bei der Bundeswehr, Bremer?«
    »Nein«, antwortete Bremer einsilbig. Sendigs Verhalten irritierte ihn immer mehr. Er hatte Verständnis dafür und erwa r tete sogar, daß er nervös war und Angst hatte — aber Sendig benahm sich vollkommen verrückt. Zum ersten Mal fragte er sich allen Ernstes, ob Sendig vielleicht tatsächlich den Verstand verloren hatte.
    »So, Sie haben nicht gedient?« Sendig schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. »Ich bin erschüttert.«
    Bremer sah ihn durchdringend an. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?« fragte er.
    »Alles in Ordnung?« Sendig grinste noch breiter. »Natürlich ist mit mir alles in Ordnung. Was soll denn nicht stimmen?«
    Bremer schwieg, und auch Sendig war einige Sekunden lang still. Aber als er weitersprach, war sein Lächeln irgendwie eingefroren und sah aus wie die geschminkten Züge eines Harlekins. »Nein, es ist nicht alles in Ordnung. Ganz und gar nichts ist in Ordnung, Bremer. Ich habe eine verdammte Scheißangst.«
    Bremer hätte ihn gerne gefragt, wovor, aber es war zu spät. Die Einfahrt der Fabrik tauchte im Scheinwerferlicht auf, und Bremer sah, daß zumindest eine seiner Sorgen unbegründet gewesen war - das schmiedeeiserne Rolltor stand weit offen. In

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