AZRAEL
allein waren. Nein, er würde bestimmt nicht begeistert sein, wenn er wüßte, was sie hier taten. Und in Zukunft sehr viel besser darauf achten, daß seine Tochter sich nicht in sein Arbeitszimmer schlich und eine Extraportion ARZRAEL aus seinem Schrank nahm…
» Also was soll das alles hier? « fragte Claudia, nachdem Mark eine Weile geschwiegen und sie sich weiter in dem von Kerzenschein erfüllten Raum umgesehen hatte. » Was hast du vor? Eine schwarze Messe abzuhalten? «
Mark grinste. » Etwas viel Besseres « , sagte er. » Wart’s ab. Nebenbei – hast du die anderen gesehen? «
Claudia nickte. » Sie sind oben. Sie kommen gleich nach, aber im Moment geht es noch nicht. « Sie lachte. » Bruno hat wieder einmal verschlafen und ist noch nicht auf seiner Runde. «
»Und wie bist du vorbeigekommen?« fragte Mark.
» Nun laß mir doch meine kleinen Geheimnisse « , kicherte Claudia. » Du weißt doch, daß einer Frau gewisse Möglichkeiten offenstehen, ihre Ziele zu erreichen. «
Mark sah sie mit gespielten Entsetzen an. Er grinste ebenfalls, aber er verspürte auch ein rasches, völlig absurdes Gefühl von Eifersucht.
Sie gingen jetzt ein halbes Jahr miteinander, und er wußte, daß Claudia ihm treu war – wer gemeinsam AZRAEL nahm, der hatte keine Geheimnisse voreinander – und Bruno nun wirklich keine Konkurrenz darstellte. Trotzdem ärgerte ihn die Bemerkung ein bißchen.
Ehe der Gedanke weiter in ihm bohren konnte, ging die Tür auf, und die anderen kamen herein. Offensichtlich war der Nachtwächter mittlerweile wach geworden und hatte seine Runde begonnen, was ihnen endlich die Gelegenheit gab, durch die präparierte Stelle im Zaun gleich neben dem Tor zu schlüpfen. Es gab ein großes Hallo und eine Reihe spöttischer oder auch mißtrauischer Bemerkungen, als sie sahen, was er vorbereitet hatte, und vor allem Stefan konnte es sich nicht verkneifen, ihm noch einmal unter der Nase zu reiben, wie schwierig es war, aus dem Haus zu kommen, ohne daß seine Eltern es merkten.
» Ich hoffe, es lohnt sich « , schloß er in grollendem Tonfall. » Wir haben morgen ein anstrengendes Spiel. Wehe, du hast mich umsonst um meinen Nachtschlaf gebracht. «
» Du wirst es nicht bereuen « , versprach Mark. » Aber jetzt laßt uns anfangen. Es ist schon spät « .
Er sah auf die Uhr – Mitternacht war seit zehn Minuten vorbei, und er mußte weitere zehn Minuten einkalkulieren, ehe das Mittel bei allen wirkte. Dazu noch einige Minuten um die Trance zu erreichen… Alles im allen blieb ihm gerade eine halbe Stunde, wenn er die Zeit zwischen zwölf und eins ausnutzen wollte. Die Geisterstunde.
» Also, jetzt mal raus mit der Sprache! « verlangte Marcus. » Was ist so ungeheuer wichtig, daß wir mitten in der Nacht herkommen mußten? «
» Das werdet ihr gleich erfahren « , sagte Mark. Er wartete, bis sich alle im Kreis auf den Boden gesetzt und an den Händen ergriffen hatten, ehe er selbst den Platz in der Mitte des Kreises einnahm, an dem normalerweise Onkel Löbach saß. Er übernahm auch weiter dessen Rolle, indem er heute die Rationen verteilte. Einige machten überraschte Gesichter, als sie sahen, daß jeder eine ganze Kapsel bekam – Löbach gestattete ihnen nie mehr als ein Drittel, und selbst das nicht immer. Aber für das, was Mark vorhatte, war es wichtig, ein besonders intensives Stadium der geistigen Vereinigung zu erreichen.
Mark nahm seine Kapsel als letzter, zerbiß sie mit einer kräftigen Bewegung und schluckte das geschmacklose Pulver mit etwas Speichel herunter. » Also « , begann er. » Ihr platzt wahrscheinlich alle schon vor Neugier, aber ich verspreche euch, daß ihr nicht enttäuscht werdet. Ich habe etwas herausgefunden. «
Er machte eine entsprechende Geste, und alle ergriffen sich an den Händen. Aber er ließ dann noch eine bewußte dramatische Pause verstreichen, ehe er fortfuhr: » Ich weiß jetzt, was AZRAEL wirklich heißt « .
» Was? « fragte Claudia mißtrauisch.
Mark lächelte. » Ich zeige es euch « , sagte er.
49. Kapitel
B runo sah die Katastrophe kommen, aber er war nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. Der Wagen drehte sich anderthalbmal um seine Achse und schoß gleichzeitig auf das Pförtnerhäuschen zu, und Bruno wußte mit absoluter Gewißheit, daß er ihn treffen würde - obwohl er gleichzeitig ein verzweifeltes Stoßgebet zum Himmel schickte, daß er vielleicht ein weiteres Mal seinen Kurs ändern, gegen ein unsichtbares Hindernis stoßen oder
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