Azrael
Smoking glich er einem hochherrschaftlichen Vampir, und die intensive Glut seiner goldenen Augen machte sie fast verrückt.
Dies war die Hochzeit ihrer besten Freundin Juliette Anderson, genannt Jules. Sophie hatte als Brautjungfer die Aufgabe, hilfreich dazustehen, den Strauß zu übernehmen und all das. Aber während der Priester die versammelten Hochzeitsgäste auf Gälisch begrüßte und die bittersüße Musik der Dudelsackpfeifer über das Grundstück des Schlosses hallte, konnte sie sich nur auf Azrael konzentrieren.
Auf Azrael, den Erzengel.
Ein paar Stunden, nachdem Sophie in Edinburgh aus dem Flieger gestiegen war, hatte Juliette ihr alles über die vier Lieblingserzengel des Alten Mannes erzählt. Soph hatte seit drei Wochen ihre eigenen Neuigkeiten loswerden wollen. Aber ein Blick in Juliettes Gesicht und der eindringliche Klang ihrer Stimme hatten Sophies Probleme sofort in den Hintergrund verbannt, wo sie immer noch warteten.
Der Bräutigam und seine Brüder waren die berühmtesten Erzengel: Gabriel, der Himmelsbote, Michael, der Krieger, Uriel, der Racheengel – und Azrael, der Engel des Todes.
So sieht er auch aus, dachte Sophie. Verstohlen musterte sie den attraktiven Mann. Er war einfach zu schön, auf eine Art, die es einem irgendwie erschwerte, ihn anzuschauen. Fast wie Dorian Gray. Hatte auch er seine Seele verkauft, um so auszusehen?
Laut Juliette waren die vier Erzengel vor zweitausend Jahren auf die Erde gekommen, um etwas Kostbares zu suchen – ihre Gefährtinnen. Das hörte sich an wie eine Werwolf-Romanze. Aber es musste wohl stimmen. Offenbar hatte der Alte Mann seinen vier Lieblingen perfekte weibliche Erzengel geschenkt, Sternenengel genannt. Die hatte er auf die Erde geschickt, bevor die vier Brüder sie finden konnten, verstreut und jahrhundertelang für ihre Partner verloren. Bis jetzt.
Aus unerfindlichen Gründen schienen alle Sternenengel auf einmal aufzutauchen. Nun ja, vielleicht nicht alle, überlegte Sophie, während nun Juliette, flankiert von ihren Eltern, in ihrem hinreißenden Brautkleid durch den Mittelgang zwischen den geschnitzten Stühlen zum Altar schritt. Immerhin war ihre beste Freundin erst der zweite Sternenengel, den ein Erzengel gefunden hatte. Und dass beide Frauen innerhalb weniger Monate auf der Bildfläche erschienen waren, konnte ein Zufall sein. Trotzdem. Zweitausend Jahre, ohne dass irgendetwas passierte, und dann plötzlich …
Sophie spähte unauffällig zu Uriel hinüber, dem ersten Erzengel, der seine Gefährtin ausfindig gemacht hatte. Auch er sah umwerfend aus in seinem eleganten Smoking, mit strahlenden grünen Augen und braunen Locken. Zu Sophies Verblüffung war er der berühmte Schauspieler Christopher Daniels, der in dem Film Ausgleichende Gerechtigkeit den »guten« Vampir Jonathan Brakes gemimt hatte.
Seinem Bruder Azrael gegenüber war sie noch weniger unbefangen, denn er war nicht nur der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte, sondern auch der Frontsänger von Valley of Shadow, der derzeit weltweit populärsten Rockband. Wobei deren namensgebender Song, in dessen Refrain es hieß »Yea, though I walk through the valley of the shadow of death …«, plötzlich noch ganz andere Dimensionen eröffnete, seit Sophie wusste, um wen es sich bei Azrael in Wirklichkeit handelte. Sehr passend.
Als Sänger trug er auf der Bühne stets eine geheimnisvolle, schwarze Maske, die sein halbes Gesicht vor den Fans versteckte. Seine schmachtende Stimme hypnotisierte das Publikum, seine Identität blieb verborgen.
Seit die Band Valley of Shadow existierte, war Sophie ihr begeisterter Fan, so wie zahllose Frauen in aller Welt. Der Anblick, das Charisma und die Persönlichkeit des Maskierten bezauberten sie. Wenn sie seine Songs auf ihren iPod herunterlud, schloss sie die Augen und stellte sich vor, er würde nur für sie singen. Verdammt, sie träumte sogar von ihm.
O Gott. Bei dieser Erinnerung errötete sie verlegen und verwirrt. Die Braut nahm ihren Platz vor dem Altar ein. Als die Zeremonie begann, übernahm Sophie den Brautstrauß. Unfassbar – nun stand sie nur wenige Schritte von dem Maskierten entfernt. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er ein Erzengel war, noch dazu der Todesengel. In ihrem Kopf drehte sich alles.
Er starrt mich an. Ja, eindeutig, der Erzengel, der ihr direkt gegenüberstand, fixierte sie, und sie zwang sich, die Lider zu senken. Wann immer sie aufsah, glaubte sie, er würde in ihre Seele schauen, ihre
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