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und dieser Ruf verselbstständigt sich dann. Da das die Persona ist, die andere kennen, ist es die Persona, die wir meinen, bedienen zu müssen.
Natürlich steuerte Professor Little auf einen Burn-out zu, nicht nur mental, sondern auch körperlich. Aber er liebte seine Studenten, er liebte seine Tätigkeit – bis er eines Tages mit einer doppelseitigen Lungenentzündung im Sprechzimmer eines Arztes landete. Er hatte sie vor lauter Arbeit nicht zur Kenntnis genommen, aber seine Frau hatte ihn gegen seinen Willen zum Arzt geschleppt, und das war sein Glück. Hätte sie noch länger gewartet, hätte er nach Aussage der Ärzte nicht überlebt.
Eine doppelseitige Lungenentzündung und ein Leben mit zu vielen Terminen kann natürlich jedem passieren, aber für Little war es die Folge davon, dass er zu lange gegen seine Natur und ohne genug Regenerationsnischen gelebt hatte. Wenn unsere Gewissenhaftigkeit dazu führt, dass wir uns mehr aufladen, als wir verkraften können, beginnen wir, die Motivation zu verlieren, selbst bei Aufgaben, die uns normalerweise Spaß machen. Wir riskieren auch unsere Gesundheit. Ein »emotionaler Kraftakt« – die Mühe, die wir uns geben, um unsere eigenen Emotionen zu kontrollieren und zu ändern – kann zu Stress, Burn-out und sogar körperlichen Symptomen wie einer Zunahme an Herzkreislauferkrankungen führen. 9 Professor Little glaubt, dass ein länger anhaltendes Handeln gegen die eigene Natur sich auch auf das vegetative Nervensystem auswirkt, was seinerseits das Funktionieren des Immunsystems beeinträchtigen kann.
Eine beachtenswerte Untersuchung legt nahe, dass Menschen, die negative Emotionen unterdrücken, diese Emotionen später oft auf unerwartete Weisen zum Ausdruck bringen. 10 Die Psychologin Judith Grob bat eine Gruppe von Versuchspersonen, ihre Emotionen zu verbergen, während sie ihnen abstoßende Bilder zeigte. Sie ließ sie sogar Stifte im Mund halten, um ein Verziehen der Miene zu verhindern. Sie stellte fest, dass diese Gruppe sich eigenen Angaben zufolge weniger von den Bildern abgestoßen fühlte als die Kontrollgruppe, der man erlaubt hatte, ganz natürlich zu reagieren. Doch später stellten sich bei den Menschen, die ihre Emotionen verborgen hatten, Nebeneffekte ein: Sie litten unter Gedächtnisstörungen, und die negativen Emotionen, die sie unterdrückt hatten, schienen ihre Weltsicht zu trüben. Als Grob sie bat, den fehlenden Buchstaben im englischen Wort »gr_ss« einzusetzen, setzten sie mit höherer Wahrscheinlichkeit ein »o« ein für »gross« (widerlich) statt ein »a« für »grass« (Gras). »Menschen, die ihre negativen Emotionen regelmäßig unterdrücken«, schlussfolgerte Grob, »könnten die Welt mit der Zeit in einem negativeren Licht sehen.«
Deshalb hat sich Professor Little heutzutage weitgehend in den Regenerationsmodus zurückgezogen, er ist emeritiert und genießt das Zusammensein mit seiner Frau in ihrem Haus in Kanada. Little sagt, seine Frau Sue Phillips, Leiterin der »School of Public Policy and Administration« an der Carleton University, gleiche ihm so sehr, dass sie kein Free-Trait-Abkommen in ihrer Beziehung bräuchten. Sein Free-Trait-Abkommen mit sich selbst sieht jedoch vor, dass er seine verbleibenden »akademischen und beruflichen Pflichten bereitwillig erfüllt«, aber »nicht länger als notwendig damit zubringt«.
Dann geht er nach Hause und macht es sich mit Sue am Kamin gemütlich.
KAPITEL 10
Die Kommunikationslücke
Wie man zu Mitgliedern des anderen Typs redet
Die Begegnung von zwei Persönlichkeiten ist wie der Kontakt zweier chemischer Substanzen; wenn eine Reaktion stattfindet, werden beide verwandelt.
C. G. Jung
Wenn Introvertierte und Extravertierte den Norden und Süden des Temperaments – die entgegengesetzten Pole auf einem Spektrum – bilden, können sie dann überhaupt miteinander zurechtkommen? Tatsächlich fühlen sich die beiden Typen oft zueinander hingezogen und gehen Freundschaften, Geschäftsbeziehungen und insbesondere auch Liebesbeziehungen ein. In einer solchen Konstellation kann es viel Spaß und gegenseitige Bewunderung geben, das Gefühl, dass jeder den anderen ergänzt. Der eine neigt zum Zuhören, der andere zum Reden; der eine reagiert empfindsam auf Schönheit, aber auch auf Widrigkeiten, der andere wirbelt fröhlich durch den Tag; der eine bezahlt die Rechnungen, der andere kümmert sich um die Verabredungen der Kinder zum Spielen. Doch wenn die beiden Partner in solchen
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