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sich verletzt, weil sie sich bei ihren Kollegen Mühe gibt und bei ihm nicht.
Dieses Verhältnis war bei den von mir interviewten Paaren von Introvertierten und Extravertierten leider häufig anzutreffen: Die Introvertierten sehnten sich dringend nach Ruhe und Verständnis vonseiten ihres Partners, die Extravertierten sehnten sich nach Gesellschaft und ärgerten sich darüber, dass die »Schokoladenseite« ihres Partners scheinbar anderen Menschen zugutekam.
Extravertierten kann es schwerfallen nachzuvollziehen, wie dringend Introvertierte am Ende eines anstrengenden Arbeitstags wieder auftanken müssen. Wir alle haben Mitgefühl mit einem erschöpften Partner, der von der Arbeit kommt und zu kaputt ist, um zu reden, aber es ist schwieriger nachzuvollziehen, dass soziale Überstimulation ebenso erschöpfend sein kann.
Introvertierten wiederum fällt es manchmal schwer zu verstehen, wie kränkend ihr Schweigen sein kann. Ich interviewte Sarah, eine vor Energie übersprudelnde, dynamische Englischlehrerin an einer Highschool, die mit Bob verheiratet ist, dem introvertierten Rektor einer juristischen Fakultät, der seine Tage damit zubringt, Sponsorengelder zu beschaffen, und in sich zusammensackt, wenn er abends nach Hause kommt. Sarah weinte vor Frustration und Einsamkeit, als sie mir ihre Ehe schilderte.
»Im Beruf hat er ein erstaunlich gewinnendes Auftreten«, sagte sie. »Ich höre von allen Seiten, wie witzig er ist und dass ich mich glücklich schätzen kann, mit ihm verheiratet zu sein. Und ich möchte ihn erwürgen. Jeden Abend springt er sofort nach dem Essen auf und bringt die Küche in Ordnung. Dann will er Zeitung lesen und allein an seinen Fotos arbeiten. Gegen neun kommt er ins Schlafzimmer, will fernsehen und mit mir zusammen sein. Aber selbst dann ist er nicht wirklich bei mir. Er will, dass ich meinen Kopf auf seine Schulter lege, während wir in den Apparat starren. Wir leben komplett nebeneinander her.« Sarah versucht Bob dazu zu überreden, sich beruflich zu verändern. »Ich glaube, wir hätten ein wunderbares Leben, wenn er einen Job hätte, bei dem er den ganzen Tag am Computer sitzen könnte«, sagt sie. »Aber er muss ständig Sponsorengelder auftreiben.«
Bei Beziehungen, in denen der Mann introvertiert und die Frau extravertiert ist wie im Beispiel von Sarah und Bob, halten wir Persönlichkeitskonflikte oft irrtümlich für die Folge des Geschlechterunterschieds und kommen dann mit der Binsenweisheit daher, dass »Mars« das Bedürfnis hat, sich in seine Höhle zurückzuziehen, während »Venus« lieber Kontakt hat. Aber was auch immer die Gründe für diese unterschiedlichen zwischenmenschlichen Bedürfnisse sein mögen – ob der Geschlechterunterschied oder das Temperament –, wichtig ist, dass es möglich ist, den Konflikt zu lösen. In seinem Buch Hoffnung wagen: Gedanken zur Rückbesinnung auf den American Dream gesteht Präsident Obama, dass er, als er am Anfang seiner Ehe mit Michelle an seinem ersten Buch arbeitete, sich »oft abends im Arbeitszimmer vergrub, das ganz am Ende unseres langgestreckten Appartements lag. Was ich für normal hielt, erzeugte bei Michelle oft das Gefühl, allein zu sein.« 5 Er führt sein Verhalten auf die Anforderungen des Schreibens zurück sowie auf den Umstand, dass er überwiegend als Einzelkind aufgewachsen ist, und schreibt, dass er und Michelle mit den Jahren gelernt haben, gegenseitig auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen – und sie als legitim zu betrachten.
Für Introvertierte und Extravertierte kann es auch mühsam sein, die unterschiedliche Art zu verstehen, Konflikte zu lösen. Celia, eine meiner Klientinnen, war eine makellos gekleidete Anwältin. Sie wollte sich scheiden lassen, fürchtete sich aber davor, es ihrem Mann mitzuteilen. Sie hatte gute Gründe für ihre Entscheidung, ahnte jedoch, dass er sie anbetteln würde zu bleiben und sie vor Schuldgefühlen nicht mehr ein noch aus wissen würde. Vor allem wollte sie ihm ihren Entschluss auf mitfühlende Weise mitteilen.
Wir beschlossen, das Gespräch als Rollenspiel zu simulieren, wobei ich die Rolle des Ehemanns übernahm.
»Ich möchte unsere Ehe beenden«, sagte Celia. »Dieses Mal ist es mir ernst.«
»Ich habe alles getan, um unsere Beziehung aufrechtzuerhalten«, wandte ich ein. »Wie kannst du mir das antun?«
Celia dachte eine Minute lang nach.
»Ich habe es mir lange überlegt, und ich halte es für die richtige Entscheidung«, sagte sie mit leiser,
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