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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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sein für ihn, nie allein sein zu müssen. Nun sagt Emily, er solle ohne sie auskommen. Er hat den Eindruck, damit würde sie aus einem fundamentalen Bestandteil ihres Ehevertrags ausbrechen, und er glaubt, dass irgendetwas tatsächlich nicht in Ordnung ist mit seiner Frau.
     
    Stimmt etwas nicht mit mir? Es ist nicht überraschend, dass Emily sich diese Frage stellt oder dass Greg ihr diesen Vorwurf macht. Das vermutlich häufigste – und unheilvollste – Missverständnis, was die beiden Persönlichkeitstypen angeht, lautet, dass Introvertierte ungesellige und Extravertierte gesellige Menschen sind.
    Aber wie wir gesehen haben, ist beides nicht richtig. Introvertierte sind anders gesellig als Extravertierte. Das »Bedürfnis nach Nähe«, wie Psychologen es nennen, ist sowohl bei Introvertierten als auch bei Extravertierten anzutreffen. Tatsächlich gehören Menschen mit einem hohen Nähebedürfnis eher nicht zum Typus »des lauten, zugänglichen Extravertierten, der Leben in die Bude bringt«, wie der bekannte Psychologe David Buss es ausdrückt. Extravertierte suchen im geselligen Beisammensein gar nicht unbedingt Nähe. »Extravertierte scheinen Leute als Forum zu brauchen, um ihr Darstellungsbedürfnis zu befriedigen, so wie ein General Soldaten braucht, um sein Kommandobedürfnis zu befriedigen«, sagte mir der Psychologe William Graziano. »Wenn Extravertierte auf einer Party erscheinen, weiß jeder, dass sie da sind.«
    Mit anderen Worten: Unser Extravertiertheitsgrad beeinflusst die Anzahl von Freunden, die wir haben werden, aber nicht, ob wir ein guter Freund sind. In einer mit 132 Studenten an der Humboldt-Universität in Berlin durchgeführten Studie untersuchten die Psychologen Jens Asendorpf und Susanne Wilpers die Auswirkung verschiedener Persönlichkeitsmerkmale auf die Beziehung der Studenten zur ihren Altersgenossen und ihrer Familie. 1 Sie konzentrierten sich auf die Eigenschaften des sogenannten »Fünf-Faktoren-Persönlichkeitsmodells«: Introversion /Extraversion, Freundlichkeit, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität. 2 (Viele Persönlichkeitspsychologen glauben, dass die menschliche Persönlichkeit sich auf diese fünf Merkmale reduzieren lässt.)
    Asendorpf und Wilpers sagten voraus, dass es den extravertierten Studenten leichter als den introvertierten fallen würde, neue Freundschaften zu schließen, und das bestätigte sich tatsächlich. Aber wenn Introvertierte wirklich ungesellig und Extravertierte gesellig wären, dann hätten die Studenten mit den harmonischsten Beziehungen auch die mit dem höchsten Grad an Extraversion sein müssen. Und das war durchaus nicht der Fall. Vielmehr erreichten die Studenten, deren Beziehungen am konfliktfreiesten waren, hohe Punktzahlen beim Merkmal »Freundlichkeit«. Freundliche Menschen sind warm, unterstützend und liebevoll. Persönlichkeitspsychologen haben herausgefunden, dass diese Menschen, wenn man ihnen auf einem Computerbildschirm verschiedene Wörter präsentiert, ihre Aufmerksamkeit länger als andere auf Ausdrücke wie »fürsorglich sein«, »trösten« und »helfen« richten und weniger auf Wörter wie »überfallen«, »entführen«, »drangsalieren«. 3
    Introvertierte und Extravertierte sind mit gleich hoher Wahrscheinlichkeit freundlich; es gibt keine Korrelation zwischen Extraversion und Freundlichkeit. 4 Das erklärt, warum einige Extravertierte die Stimulation in einer geselligen Runde lieben, aber nicht besonders gut mit denen zurechtkommen, die ihnen am nächsten stehen. Es hilft auch zu erklären, warum einige Introvertierte  – wie Emily, deren Talent für Freundschaft nahelegt, dass sie selbst ein hochgradig freundlicher Typ ist – ihrer Familie und ihren engen Freunden reichlich Aufmerksamkeit schenken, aber keine oberflächlichen Unterhaltungen mögen. Wenn Greg Emily also »ungesellig« nennt, irrt er sich. Emily hegt und pflegt ihre Ehe so, wie man es von einer freundlichen Introvertierten erwarten würde: indem sie Greg zum Mittelpunkt ihres sozialen Universums macht.
    Aber das ist einfach nicht immer möglich. Emily hat einen anspruchsvollen Job, und wenn sie abends nach Hause kommt, bleibt ihr bisweilen nicht mehr viel Energie. Sie freut sich immer auf Greg, aber manchmal würde sie lieber in seiner Nähe sitzen und lesen, statt essen zu gehen oder sich angeregt zu unterhalten. Einfach in seiner Gesellschaft zu sein genügt ihr. Für Emily ist dies das Natürlichste der Welt. Aber Greg fühlt

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