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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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ihr Versprechen. Es dauert nicht lange, bis die Dorfjungen die Angst vor ihr verlieren und beginnen, sie zu misshandeln. Geschunden und blutig, beschwert sich die Kobra beim Swami, dass das der Lohn dafür sei, dass sie ihr Versprechen gehalten hat.
    »Ich habe dir gesagt, du sollst nicht beißen«, erwidert der Swami, »aber ich habe nicht gesagt, dass du nicht zischen sollst.«
    »Viele Menschen«, schreibt Tavris, »verwechseln das Zischen mit dem Beißen, wie die Kobra in dieser Geschichte.«
    Viele Menschen – wie Greg und Emily. Beide haben viel aus dieser Geschichte zu lernen: Greg, dass er mit dem Beißen aufhören sollte, Emily, dass Greg zischen darf – und dass vielleicht auch sie versuchen sollte, ein wenig zu zischen.
    Greg kann zunächst einmal seine Vorstellung vom Ärger ändern. Wie die meisten Menschen glaubt er, dass man Dampf ablässt, wenn man seinen Ärger entlädt. Die »Katharsis-Hypothese«  – wonach die Aggression sich in uns aufstaut, bis wir sie als gesunde Reaktion ausagieren – geht auf die Griechen zurück, wurde von Freud wiederbelebt und erhielt in den 1960er Jahren neuen Auftrieb, indem man lernte, mithilfe des Punchingballs und des Urschreis »alles herauszulassen«. Aber die Katharsis-Hypothese ist ein Ammenmärchen – plausibel und elegant, aber dennoch ein Märchen. Auswertungen von Experimenten haben gezeigt, dass sich Luft zu machen den Ärger nicht zum Verschwinden bringt, sondern ihm Nahrung gibt. 10
    Am besten ist es, wenn wir uns gar nicht erst erlauben, uns in den Ärger hineinzubegeben. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Menschen nach einer Botox-Behandlung, die ein ärgerliches Verziehen des Gesichts verhindert, erstaunlicherweise weniger zu Ärger neigen, denn allein der Akt des Stirnrunzelns löst im Mandelkern schon die Verarbeitung negativer Emotionen aus. 11 Ärger ist nicht nur im Augenblick des Herauslassens schädlich; noch Tage später haben Menschen, die ihrem Zorn freien Lauf lassen, damit zu tun, die Beziehung zu ihrem Partner wieder zu reparieren. Trotz der verbreiteten Legende, nach einem Streit habe man fabelhaften Sex, sagen viele Paare, dass sie nach einem Streit Zeit brauchen, um wieder liebevolle Gefühle für ihren Partner zu entwickeln.
    Was kann Greg tun, um sich zu beruhigen, wenn er merkt, wie die Wut in ihm hochsteigt? Er kann tief durchatmen. Er kann zehn Minuten Pause einlegen. Er kann sich auch fragen, ob das, was ihn so ärgerlich macht, wirklich so wichtig ist. Wenn nicht, könnte er es loslassen. Aber wenn doch, dann sollte er seine Bedürfnisse nicht als persönliche Angriffe, sondern als sachlichen Diskussionsbeitrag formulieren. Statt zu sagen: »Du bist so ungesellig!« , könnte er sagen: »Wollen wir nicht einen Weg finden, unsere Wochenenden zu organisieren, der für uns beide gangbar ist?«
    Dieser Rat würde auch dann gelten, wenn Emily keine hochsensible Introvertierte wäre (niemand fühlt sich gern dominiert oder missachtet), doch es ist nun einmal so, dass Greg mit einer Frau verheiratet ist, die sich von Wut besonders abgestoßen fühlt. Also muss er auf die konfliktscheue Ehefrau reagieren, die er hat, nicht auf die konfliktbereite, mit der er zumindest im Eifer des Gefechts gern verheiratet wäre.
    Schauen wir uns nun Emilys Seite der Gleichung an. Was könnte sie anders machen? Sie protestiert zu Recht, wenn Greg beißt – also ungerecht angreift –, aber was, wenn er zischt? Emily könnte sich mit ihren kontraproduktiven Reaktionen auf Ärger auseinandersetzen, darunter ihrer Tendenz, sich in einen Kreislauf von Schuld und Verteidigung zu verstricken. Wir wissen aus Kapitel 6, dass viele Introvertierte seit frühester Kindheit zu starken Schuldgefühlen neigen; wir wissen auch, dass wir alle dazu tendieren, unsere eigenen Reaktionen auf andere zu projizieren. Da die konfliktscheue Emily nie »beißen«, geschweige denn zischen würde, es sei denn Greg hätte etwas ganz Schreckliches getan, interpretiert sie sein Beißen in gewisser Weise als Beweis dafür, dass sie furchtbar schuldig ist – weiß Gott wofür. Emilys Schuldgefühle sind so unerträglich, dass sie tendenziell die Gültigkeit aller Ansprüche Gregs leugnet – der legitimen wie auch der wütend zugespitzten. Das hat einen Teufelskreis zur Folge, bei dem sie sich gegen ihr natürliches Mitgefühl abschottet und Greg sich sogar noch weniger verstanden fühlt als vorher.
    Emily muss also akzeptieren, dass es nicht schlimm ist, im

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