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eine Rede zu halten. Angenommen, jemand gibt sich viel Mühe, um eine Rede über ein Thema zu verfassen, das ihm am Herzen liegt. Die Botschaft kommt an, und am Ende der Rede erhebt sich das Publikum und applaudiert ihm lange und aufrichtig. Der eine Redner könnte aus dem Saal gehen und denken: »Ich bin froh, dass die Botschaft angekommen ist, aber ich bin auch froh, dass es vorbei ist. Jetzt kann ich wieder zum Alltag übergehen.« Jemand anders, der empfänglicher für Euphorie ist, könnte am Schluss denken: »Was für ein Triumph! Und dieser Applaus! Und der Ausdruck auf den Gesichtern, als ich diese Aussage gebracht habe, die alles in ein neues Licht stellt! Das war große Klasse !«
Aber die Euphorie hat auch beträchtliche Nachteile. »Jeder geht davon aus, dass es gut ist, positive Emotionen zu betonen. Doch das ist nicht wahr«, sagte mir der Psychologieprofessor Richard Howard und führte als Beispiel Fußballspiele an, in deren Folge es manchmal zu Gewalt gegen Personen und Sachen kommt. »Vielfach resultiert antisoziales und selbstsabotierendes Verhalten daraus, dass Menschen positive Emotionen hochschaukeln.«
Ein weiterer Nachteil der Euphorie kann ihre Verbindung mit dem Risiko sein – einem manchmal übergroßen Risiko. Im Überschwang übersehen wir manchmal Warnsignale, die wir beachten sollten. Als Ted Turner (der allem Anschein nach ein extremer Extravertierter ist) den Deal zwischen AOL und Time Warner mit seiner ersten sexuellen Erfahrung verglich, setzte er sie mit der rauschhaften Verfassung eines Heranwachsenden gleich, der so begeistert von der Aussicht ist, die Nacht mit seiner ersten Freundin zu verbringen, dass er nicht groß über die Folgen nachdenkt. Die Blindheit gegenüber Gefahren erklärt vielleicht, warum Extravertierte häufiger als Introvertierte beim Autofahren ums Leben kommen, aufgrund von Unfällen oder Verletzungen im Krankenhaus landen, Zigaretten rauchen, riskanten Sex oder Affären haben, Extremsportarten betreiben und mehrmals heiraten. Sie trägt auch zur Erklärung bei, warum Extravertierte eher als Introvertierte zur Selbstüberschätzung neigen – also Selbstvertrauen entwickeln, das nicht mit den entsprechenden Fähigkeiten einhergeht. Der Überschwang ist John F. Kennedys Hochburg, aber auch der Fluch der Kennedys: So können Familiendynastien entstehen, aber auch tragische Unfälle passieren.
Diese Theorie der Extraversion ist noch neu, und sie ist nicht absolut zu setzen. Belohnungssensitivität geht nicht immer hundertprozentig mit Extraversion einher und das Vermeiden von Gefahren nicht hundertprozentig mit Introversion. Man kann nicht sagen, dass alle Extravertierten ständig nach Belohnung streben oder dass alle Introvertierten bei Schwierigkeiten immer bremsen. Doch die Theorie deutet daraufhin, dass wir die Rollen, die Introvertierte und Extravertierte in ihrem Privatleben und in Institutionen spielen, neu überdenken sollten. Sie legt nahe, dass Extravertierte gut beraten wären, bei Gruppenentscheidungen auf Introvertierte zu hören – besonders wenn sie Schwierigkeiten kommen sehen.
Nach dem großen Crash von 2008, einer Finanzkrise, die teilweise durch das unüberlegte Eingehen von Risiken und die Blindheit gegenüber Gefahren verursacht war, wurde es Mode, Vermutungen darüber anzustellen, ob wir mit mehr Frauen und weniger Männern (oder weniger Testosteron) an der Wall Street besser gefahren wären. Aber vielleicht sollten wir auch fragen, was passiert wäre, wenn ein paar mehr Introvertierte – und damit sehr viel weniger Dopamin – am Steuer gewesen wären.
Mehrere Studien geben implizit eine Antwort auf diese Frage. Professor Camelia Kuhnen von der »Kellogg School of Management« hat herausgefunden, dass die Variante eines Dopamin regulierenden Gens (DRD4) in Verbindung mit einer speziell auf Nervenkitzel gepolten Version von Extraversion mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Indikator für finanzielle Risikobereitschaft ist. 8 Menschen mit einer Genvariante, die mit Introversion und hoher Sensibilität verknüpft ist, gehen hingegen 28 Prozent weniger finanzielle Risiken als andere ein. Sie schneiden auch besser als ihre Altersgenossen bei Glücksspielen ab, bei denen es auf gut überlegte Entscheidungen ankommt. (Wenn sie geringe Gewinnchancen haben, entscheiden sich Menschen mit dieser Genvariante eher gegen das Risiko; mit hohen Gewinnchancen sind sie relativ risikofreudig.) Eine andere Untersuchung von 64 Händlern einer
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