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B00BOAFYL0 EBOK

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Titel: B00BOAFYL0 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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nennt man in der Mathematik eine lineare Kombination der beiden Zustände. Kann Ihr Gehirn das bewerkstelligen? Wie wünschenswert wäre es, Ihre Füße ins karibische Meer zu tauchen und auf Ihrem Kopf den Pariser Regen zu spüren? Unser Gehirn kann jeweils nur einen einzigen Zustand vernünftig verarbeiten – es sei denn, Sie leiden unter einer schweren pathologischen Persönlichkeitsspaltung. Versuchen Sie jetzt, sich eine Kombination im Verhältnis 85 zu 15 Prozent vorzustellen. Gelingt Ihnen das?
    Stellen Sie sich vor, Sie haben mit einem Kollegen um einen Betrag von 1000 Dollar gewettet, der Ihrer Meinung nach völlig gerecht ist. Morgen Abend werden Sie entweder 0 oder 2000 Dollar in der Tasche haben, mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 50 Prozent. Rein mathematisch betrachtet ist der faire Wert einer Wette die lineare Kombination der Zustände, in diesem Fall der mathematische Erwartungswert genannt, also die Wahrscheinlichkeiten der jeweiligen Auszahlungen multipliziert mit dem eingesetzten Dollarbetrag (50 Prozent multipliziert mit null und 50 Prozent multipliziert mit 2000 Dollar ergibt 1000 Dollar). Können Sie sich vorstellen (also visualisieren, nicht mathematisch berechnen), dass der Wert 1000 Dollar ist? Wir können uns nur jeweils einen einzigen Zustand ausmalen, also entweder 0 oder 2000 Dollar. Ohne externe Hilfe werden wir höchstwahrscheinlich irrationale Einsätze vornehmen, da einer der beiden Zustände in diesem Bild stärker hervortreten würde – die Angst, mit nichts dazustehen, oder die Freude über zusätzliche 1000 Dollar.

Einige architektonische Überlegungen
    Die Zeit ist gekommen, Neros Geheimnis zu lüften. Es war ein schwarzer Schwan. Damals war er 35 Jahre alt. Obwohl Gebäude in New York aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg von außen hübsch anzusehen sein können, bildet ihre Architektur auf der Rückseite einen krassen Gegensatz dazu, denn sie wirken sehr nüchtern. Das Fenster im Untersuchungszimmer des Arztes gab den Blick frei auf den Hinterhof einer solchen Seitenstraße an der Upper East Side, und Nero wird sich immer daran erinnern, wie fade jener Hinterhof im Vergleich zur Vorderfassade war, selbst wenn er noch weitere fünfzig Jahre lebt. Der Anblick des hässlichen rosafarbenen Hinterhofs durch die mit Blei umrahmten Fensterscheiben und das Arztdiplom an der Wand, das er ein Dutzend Male las, während er auf den Arzt wartete (eine halbe Ewigkeit, denn Nero befürchtete, dass etwas nicht in Ordnung war), wird ihm stets im Gedächtnis bleiben. Dann wurde ihm (mit ernster Stimme) Folgendes eröffnet: »Ich muss Ihnen etwas ... Ich habe den Laborbericht erhalten ... Es ist ... Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört ... Es ist ... Es ist Krebs.« Diese Eröffnung traf Neros Körper wie ein elektrischer Schlag, der durch sein Rückgrat in die Knie hinablief. Nero versuchte, »Wie bitte?« zu rufen, aber er brachte keinen Ton über die Lippen. Angst jagte ihm weniger die Diagnose selbst als der Anblick des Arztes ein. Irgendwie erreichten die Informationen seinen Körper vor seinem Geist. In den Augen seines Doktors konnte er zu viel Furcht erkennen, und Nero vermutete sofort, dass die Sache weitaus schlimmer war, als ihm mitgeteilt wurde (was auch der Fall war).
    Am Abend nach der Diagnose saß Nero völlig durchnässt in der medizinischen Bibliothek, nachdem er stundenlang durch den Regen gelaufen war, ohne es zu merken. Um ihn herum bildete sich eine Pfütze. (Eine Bibliothekarin schrie ihn an, aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren, was sie sagte, und so zuckte sie nur mit den Achseln und ging wieder weg.) Später las er diesen Satz: »Die versicherungsmathematisch bereinigte Überlebensrate nach fünf Jahren beträgt 72 Prozent.« Das bedeutete, dass 72 von 100 Patienten es schafften. Der Körper muss zwischen drei bis fünf Jahre ohne klinische Symptome der Erkrankung geblieben sein, bis der Patient für geheilt erklärt wird (in seinem Alter waren es eher drei). Da war er tief in seinem Inneren ganz sicher, dass er es schaffen würde.
    Der Leser mag jetzt fragen, was der mathematische Unterschied zwischen einer Sterbewahrscheinlichkeit von 28 Prozent und einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 72 Prozent ist. Es gibt natürlich keinen, aber wir sind nicht für die Mathematik geboren. In Neros Kopf stand eine Sterbewahrscheinlichkeit von 28 Prozent für das Bild seines Leichnams und den Gedanken an die belastenden Einzelheiten seiner

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