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Ergebnisse von Kahneman und Tversky entstand eine ganze Fachrichtung, die Behavioral Finance beziehungsweise Verhaltensökonomie genannt wird. Sie steht in offenem Gegensatz zur orthodoxen neoklassischen Ökonomie, wie sie an Wirtschaftsfakultäten unter normativen Bezeichnungen wie effiziente Märkte, rationale Erwartungen und Ähnlichem gelehrt wird. Es lohnt sich, an dieser Stelle innezuhalten und den Unterschied zwischen normativen und positiven Wissenschaften zu erläutern. Eine normative Wissenschaft (eindeutig ein Oxymoron) bietet eine präskriptive Lehre; sie untersucht, wie die Dinge sein sollten. Manche Ökonomen (die Anhänger der Religion der effizienten Märkte) glauben, dass Menschen rational denken und handeln, weil dies in ihrem besten Interesse liegt (es ist mathematisch »optimal«). Das Gegenteil ist eine positive Wissenschaft, die auf dem tatsächlich beobachteten Verhalten der Menschen beruht. Trotz des Neides, mit dem Wirtschaftswissenschaftler Physikern begegnen, ist die Physik eine inhärent positive Wissenschaft, während die Ökonomie, insbesondere die Mikro- und Finanzökonomie, in erster Linie normativ arbeitet. Normative Ökonomie ist wie Religion ohne die ästhetischen Aspekte.
Dabei impliziert der experimentelle Aspekt der Forschungen, dass Daniel Kahneman und der experimentelle, pferdeschwänzige Ökonom Vernon Smith sich als erste wahre Wissenschaftler vor dem schwedischen König verneigten und den Preis für Wirtschaftswissenschaften in Empfang nahmen – was der Nobelakademie Glaubwürdigkeit verleihen sollte, zumal wenn man – wie viele dies tun – Daniel Kahneman weitaus ernster nimmt als einen Haufen streng dreinblickender (und zutiefst menschlicher und somit fehlbarer) Schweden. Ein weiteres Indiz spricht für die wissenschaftliche Stabilität dieser Forschung: Sie ist auch für Nichtpsychologen sehr gut lesbar – ganz im Gegensatz zu Artikeln aus der konventionellen Ökonomie und Finanzlehre, die selbst fachlich versierte Experten nur mit Mühe lesen können (da die Diskussionen mit Fachjargon gespickt und mathematisch überfrachtet sind, um die Illusion zu wecken, es handle sich hier um eine Wissenschaft). Ein motivierter Leser kann in vier Bänden eine konzentrierte Sammlung der wichtigsten Heuristiken und Voreingenommenheiten finden.
Ökonomen waren damals nicht an diesen Geschichten über die Irrationalität interessiert: Wie gesagt, stellte der homo oeconomicus ein normatives Konzept dar. Das Argument Simons, dass wir insbesondere bei genügend hohem Einsatz nicht vollkommen rational sind und das Leben Annäherungen impliziert, nahmen sie ihm ohne weiteres ab, doch waren sie nicht bereit zu akzeptieren, dass Menschen nicht unvollkommen, sondern vielmehr fehlerhaft sind. Aber daran ist nicht zu rütteln. Kahneman und Tversky zeigten, dass auch bei Anreizen diese Voreingenommenheiten nicht verschwinden, was bedeutet, dass sie nicht notwendigerweise Kosten sparend sind. Sie stellten eine andere Form der Logik dar, bei der das probabilistische Denken schwach war.
Wo ist Napoleon, wenn wir ihn brauchen?
Wenn unser Gehirn nach unterschiedlichen, separaten Regeln arbeitet, sind diese nicht unbedingt miteinander vereinbar. Lokal mögen sie ihre Aufgabe erfüllen, aber global ist das nicht unbedingt der Fall. Stellen Sie sich vor, diese Grundsätze seien in einer Art Regelwerk gespeichert. Ihre Reaktion hängt davon ab, auf welcher Seite dieses Bandes Sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt befinden. Lassen Sie mich dies anhand eines weiteren Beispiels aus dem Sozialismus veranschaulichen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mussten im späteren Russland tätige westliche Geschäftsleute zu ihrem Ärgernis (oder Amüsement) feststellen, dass es im Rechtssystem des Landes gegensätzliche und widersprüchliche Gesetze gab. Es hing einfach davon ab, welches Kapitel man aufschlug. Ich weiß nicht, ob die Russen sich damit einfach einen Scherz erlauben wollten (schließlich hatten sie lange, humorlose Jahre der Unterdrückung durchlitten), aber diese Konfusion führte zu Situationen, in denen man ein Gesetz verletzen musste, um ein anderes einzuhalten. Ich muss gestehen, dass Gespräche mit Rechtsanwälten recht fade sind; eine Unterhaltung mit einem langweiligen Juristen, der gebrochen Englisch spricht und dessen Atem nach Wodka riecht, kann recht bemühend sein – also gibt man auf. Dieses Spaghettirechtssystem entstand durch die stückchenweise Entwicklung der Regeln:
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