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erlebe ich den gleichen Adrenalinstoß, als würde ein Leopard neben meinen Trading Desks lauern. Einige meiner Kollegen, die bei Verlusten Telefonhörer zerbrechen, könnten in ihrer psychologischen Konstitution unserem Vorfahren nicht näher stehen.
Für diejenigen, die häufig griechische und lateinische Klassiker zur Hand nehmen, mag dies eine Binsenweisheit sein, doch wir sind stets überrascht, wenn Menschen, die mehrere Dutzend Jahrhunderte vor uns gelebt haben, ähnliche Sichtweisen und Gefühle zeigen wie wir. Als Kind verwunderte es mich bei Museumsbesuchen, dass die antiken griechischen Statuen Männer zeigen, die in ihrem Aussehen nicht von uns zu unterscheiden waren (sieht man einmal davon ab, dass sie harmonischer und aristokratischer wirkten). Ich irrte mich gründlich, als ich 2200 Jahre für eine lange Zeit hielt. Proust schrieb häufig darüber, dass es viele Menschen sehr wunderte, dass Homers Helden ähnliche Gefühle empfanden wie wir heute. Aber aus genetischer Sicht hatten die homerischen Helden, die vor 30 Jahrhunderten lebten, höchstwahrscheinlich die gleiche Blaupause wie der rundliche Mann mittleren Alters, der seine Lebensmitteleinkäufe über den Parkplatz schleppt. Mehr noch: In Wirklichkeit sind wir sogar identisch mit den Menschen, die vor circa 80 Jahrhunderten die erste unserer »Zivilisationen« aufbauten, in jenem Landstreifen zwischen dem Südosten Syriens und dem Südwesten Mesopotamiens.
Was ist unser natürlicher Lebensraum? Darunter verstehe ich das Umfeld, in dem wir uns am meisten vermehrt haben und die größte Anzahl von Generationen verbrachten. Die Anthropologen sind sich einig, dass wir seit 130 000 Jahren eine separate Spezies sind, von denen wir den Großteil in der afrikanischen Savanne verbrachten. Aber so weit müssen wir gar nicht in der Geschichte zurückgehen, um diesen Punkt zu verstehen. Stellen Sie sich das Leben in einer frühen städtischen Siedlung vor – in Mittel-Stadt an der Fruchtbaren Biegung, vor nur 3000 Jahren. Aus genetischer Sicht fällt das sicherlich in die Moderne. Informationen können nur auf physischem Wege weitergegeben werden; man kann nicht schnell reisen, so dass die Kunde von fernen Orten die Siedlung nur in kompakten Schüben erreicht. Reisen ist ein Ärgernis, bei dem man allen möglichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt ist. Sie bleiben also in einem engen Umkreis Ihres Geburtsortes, wenn nicht gerade eine Hungersnot oder eine Invasion eines unzivilisierten Stammes Sie samt Ihren Anverwandten aus Ihrer schönen Stadt vertreibt. Im Laufe Ihres Lebens lernen Sie nur eine geringe Anzahl von Menschen kennen. Sollte ein Verbrechen begangen werden, können Schuldbeweise in der kleinen Gruppe der möglichen Verdächtigen leicht gefunden werden. Falls man Sie irrtümlich wegen eines Verbrechens verurteilen will, verteidigen Sie sich mit einfachen Argumenten und Beweisen wie »Ich war nicht am Tatort – zu dieser Zeit betete ich im Tempel des Baal und wurde in der Abenddämmerung vom Hohen Priester gesehen« und fügen hinzu, dass Obedshemesh, der Sohn des Sahar, wohl eher der Schuldige sei, da ihm das Verbrechen einen größeren Vorteil verschaffe. Ihr Leben wäre einfach; und das hat zur Folge, dass auch Ihr Wahrscheinlichkeitsraum gering ist.
Wie ich bereits erwähnte, liegt das eigentliche Problem darin, dass in einem solchen natürlichen Lebensraum nicht viele Informationen verfügbar sind. Eine effiziente Berechnung von Wahrscheinlichkeiten war bis vor kurzem nicht nötig. Das ist auch der Grund, weshalb wir erst im Gefolge der Literaturentwicklung im Bereich der Glücksspiele den Aufstieg der Wahrscheinlichkeitslehre erlebten. Häufig wird die Meinung vertreten, der religiöse Hintergrund des ersten und zweiten Jahrtausends habe die Entwicklung von Instrumenten verhindert, die auf fehlenden Determinismus hindeuten, und die Wahrscheinlichkeitsforschung verzögert. Diese These ist höchst zweifelhaft. Soll das heißen, dass wir keine Wahrscheinlichkeiten berechnet haben, weil wir das einfach nicht wagten? Sicherlich lag es eher daran, dass dies für uns nicht erforderlich war. Unsere heutigen Probleme sind weitgehend darauf zurückzuführen, dass wir uns sehr viel schneller über unseren Lebensraum hinaus entwickelt haben als unsere Gene. Schlimmer noch: Unsere Gene haben sich überhaupt nicht verändert.
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Die Evolutionstheoretiker sind sich einig, dass die Gehirnarbeit davon abhängt, wie und in
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