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anwenden kann? Forscher untergliedern die Aktivitäten unseres Gehirns in polarisierte Teile und nennen sie System 1 und System 2.
System 1 ist mühelos, automatisch, assoziativ, schnell, parallel verarbeitend, intransparent (d. h. wir sind uns nicht bewusst, dass wir es verwenden), emotional, konkret, spezifisch, sozial und personalisiert.
System 2 ist mühevoll, kontrolliert, deduktiv, langsam, seriell selbstkritisch, neutral, abstrakt, festgelegt, unsozial und entpersonalisiert.
Ich war stets der Meinung, dass berufsmäßige Optionshändler und Market Maker als Wahrscheinlichkeitspraktiker eine natürliche probabilistische Maschine aufbauen, die weitaus besser entwickelt ist als in der übrigen Bevölkerung – einschließlich der Wahrscheinlichkeitstheoretiker. Eine Bestätigung dieser Überzeugung fand ich in den Thesen der Heuristiken & Bias-Forscher, die eine Beeinflussung von System 1 durch Erfahrung und Integration von Elementen aus System 2 für möglich halten. Lernt man beispielsweise Schach spielen, so verwendet man System 2. Nach einiger Zeit wird das Spiel intuitiv und man kann die relative Stärke eines Gegners mit einem kurzen Blick auf das Schachbrett einschätzen.
Als Nächstes werde ich die Sichtweise der evolutionären Psychologie vorstellen.
Warum wir nicht beim ersten Rendezvous heiraten
Ein weiterer Forschungszweig, die evolutionäre Psychologie, entwickelte einen völlig anderen Ansatz für das gleiche Problem. Er arbeitet parallel und führt zu erbitterten, aber nicht allzu beunruhigenden akademischen Debatten. Diese evolutionären Psychologen stimmen mit der Kahneman-Tversky-Schule dahingehend überein, dass probabilistische Logik uns Menschen schwer fällt. Allerdings sehen sie den Grund dafür in der Art und Weise, wie uns die Dinge in unserem gegenwärtigen Umfeld präsentiert werden. Für sie sind wir für ein bestimmtes Wahrscheinlichkeitsdenken optimiert, jedoch in einem anderen als dem heute vorherrschenden Umfeld. Die Aussage des wissenschaftlichen Intellektuellen Steven Pinker, des öffentlichen Sprechers dieser Schule, bringt es auf den Punkt: »Unsere Gehirne sind für Zweckdienlichkeit, nicht für Wahrheit gemacht.« Die Vertreter dieser Denkrichtung sind sich einig, dass unsere Gehirne nicht dafür geschaffen sind, Dinge zu verstehen, halten sie aber nicht für voreingenommen beziehungsweise nur deswegen für voreingenommen, weil wir sie nicht in ihrem wahren Lebensraum nutzen.
Seltsamerweise boten die damaligen Ökonomen den Forschern der Kahneman-Tversky-Tradition keinen glaubwürdigen Widerstand (die allgemeine Glaubwürdigkeit konventioneller Ökonomen war stets so gering, dass fast niemand in der Wissenschaft und Praxis ihnen Beachtung schenkte). Den Fehdehandschuh warfen ihnen vielmehr die Soziobiologen hin – und im Zentrum der Meinungsverschiedenheit stand deren Überzeugung, dass die Evolutionstheorie das Rückgrat für unser Verständnis der menschlichen Natur darstellen sollte. Dies führte zwar zu einem heftigen wissenschaftlichen Disput, doch muss ich feststellen, dass beide Seiten im Hinblick auf dieses Buch in einem wesentlichen Punkt übereinstimmen: Erstens denken wir bei Entscheidungen nicht, sondern verwenden Heuristiken, und zweitens machen wir schwere Wahrscheinlichkeitsfehler in der heutigen Welt – ganz gleich, welcher Grund tatsächlich dafür verantwortlich ist . Diese Kluft zieht sich selbst durch die neue Wirtschaftslehre: Ein wissenschaftlicher Zweig der Ökonomie ist aus der Kahneman-Tversky-Tradition entstanden (Verhaltensökonomie), ein anderer dagegen aus der Evolutionspsychologie, verkörpert durch den Ansatz der Höhlenmenschenökonomie, den Forscher wie der Wirtschaftswissenschaftler und Biologe Terry Burnham, Ko-Autor des äußerst lesenswerten Buchs Unsere Gene, verfolgen.
Unser natürlicher Lebensraum
Ich werde mich nicht so tief in laienhafte Evolutionstheorien vorwagen, dass ich die Gründe dafür zu erforschen versuche (außerdem habe ich das Gefühl, dass ich wirklich ein Amateur auf diesem Gebiet bin, trotz der vielen Stunden, die ich in Bibliotheken verbracht habe). Das Umfeld, für das unser genetisches Erbgut einst gemacht wurde, entspricht eindeutig nicht unserer heutigen Lebensweise. Ich habe nicht allzu viele meiner Kollegen darüber aufgeklärt, dass ihre Entscheidungsfindungsprozesse noch Überbleibsel der Gewohnheiten von Höhlenmenschen erkennen lassen – aber wenn sich die Finanzmärkte plötzlich bewegen,
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