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Titel: B00BOAFYL0 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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hatte ich geglaubt, dass es in rechtlichen Auseinandersetzungen dank der hohen Standards der römischen Republik keine Augenwischerei mehr gebe. Schlimmer noch: Ein in Harvard ausgebildeter Rechtsanwalt brachte das fadenscheinige Argument vor, dass nur 10 Prozent der Männer, die ihre Frauen schlagen, sie auch umbringen. Hier handelt es sich aber um eine Wahrscheinlichkeit, die nicht vom Mord abhängt (ob der Herr Advokat seine Erklärung aus einer verzerrten Auffassung juristischer Wortgewandtheit, reiner Boshaftigkeit oder Ignoranz heraus abgab, ist unerheblich). Ist das Recht nicht der Wahrheit geweiht? Bei richtiger Betrachtungsweise müsste man bestimmen, bei wie viel Prozent der Mordfälle Frauen von ihren Ehemännern getötet und zuvor von ihnen geschlagen werden (das sind 50 Prozent), denn wir haben es mit konditionalen Wahrscheinlichkeiten zu tun (die Wahrscheinlichkeit, dass O.J. seine Frau tötete, in Abhängigkeit von der Tatsache, dass sie ermordet wurde, nicht die unabhängige Wahrscheinlichkeit, dass O.J. seine Frau töten könnte). Wie können wir erwarten, dass Laien die Machenschaften des Zufalls verstehen, wenn selbst ein Harvard-Professor, der die Grundsätze probabilistischer Beweisführung verstehen und lehren sollte, eine derart unrichtige Behauptung aufstellen kann?
    Wie wir alle neigen Geschworene (und Rechtsanwälte) besonders bei kombinierten Wahrscheinlichkeiten dazu, Fehler zu machen. Sie erkennen die kumulativen Merkmale von Beweisen nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei mir Lungenkrebs diagnostiziert wird und ich im gleichen Jahr von einem pinkfarbenen Cadillac überfahren werde, wird ausgehend von einer Wahrscheinlichkeit der einzelnen Ereignisse von 1 zu 10 000 in der Summe 1 zu 10 Milliarden, wenn man diese beiden (offensichtlich nicht voneinander abhängigen) Vorkommnisse multipliziert. Das Argument, dass O.J. Simpson aus der Sicht der Blutuntersuchung mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 500 000 der Mörder war (die Rechtsanwälte verwirrten die Geschworenen, indem sie erklärten, dass es in Los Angeles vier Menschen mit diesem Bluttyp gab), in Verbindung mit der Tatsache, dass er der Ehemann des Opfers war und es noch zusätzliche Beweise gab, erhöht (aufgrund der kumulativen Wirkung) die Wahrscheinlichkeit, dass er sie tatsächlich tötete, auf mehrere Billionen.
    »Intellektuelle« begehen schlimmere Fehler. Ich kann Leute mit der Aussage überraschen, dass die Wahrscheinlichkeit eines kombinierten Ereignisses geringer ist als die der einzelnen Vorkommnisse. Hier kommt wieder die Verfügbarkeitsheuristik zum Tragen: Im Linda-Problem hielten rational denkende, gebildete Menschen ein spezifischeres Vorkommnis für wahrscheinlicher als ein übergeordnetes Ereignis, das es beinhaltet. Ich bin froh, als Börsenhändler mir die Voreingenommenheiten der Menschen zunutze machen zu können, aber es macht mir Angst, in einer solchen Gesellschaft zu leben.

Eine absurde Welt
    Kafkas prophetisches Buch Der Prozess über die Not des Joseph K., der aus mysteriösen und nicht näher erläuterten Gründen verhaftet wird, trifft genau ins Schwarze, denn es wurde geschrieben, bevor wir von den Methoden »wissenschaftlicher« totalitärer Regime erfuhren. Es sagte eine Furcht erregende Zukunft voraus, in der die Menschheit von einer absurden, sich selbst ernährenden Bürokratie gegängelt wird, in der spontan entstehende Regeln der internen Logik des bürokratischen Apparates unterworfen werden. Dieses Buch begründete sogar die absurde Literatur, deren These lautet, dass die Welt zu viele Ungereimtheiten für uns enthält. Eine bestimmte Spezies von Rechtsanwälten jagt mir großen Schrecken ein. Nachdem ich ihre Behauptungen im Prozess gegen O.J. Simpson (und ihre Wirkung) mit angehört hatte, fürchtete ich mich buchstäblich vor dem möglichen Resultat, nämlich dass man mich aus einem Grund verhaften könnte, der aus probabilistischer Sicht keinen Sinn ergibt, und dass ich mich gegen einen aalglatten Rechtsanwalt verteidigen müsste – vor Geschworenen, die das Wesen des Zufalls nicht verstehen.
    Wir sagten, dass reines Urteilsvermögen in einer primitiven Gesellschaft wohl ausreichen würde. Eine Gesellschaft kann gut und gerne ohne Mathematik auskommen (oder Börsenhändler können auch ohne quantitative Methoden arbeiten), wenn der Raum der möglichen Resultate eindimensional ist. Das bedeutet, dass wir immer nur eine einzelne Variable betrachten, keine Ansammlung von separaten

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