B00DJ0I366 EBOK
bereit. Der Prosecco und Weißwein sind perfekt gekühlt. Frau May«, er wendet sich an Victoria, »ich darf sagen, das ist eine einzigartige Veranstaltung in Coburg. Sie können stolz auf sich sein.«
»Stolz bin ich vor allem auf meine Kinder, auf Sam und Nikolaj, die das alles möglich gemacht haben.« Victoria strahlt, als hätte es in den vergangenen Wochen keine Wirbelstürme gegeben, die das Leben der Familie May in Klump gehauen haben.
Igor kommt um die Ecke. Die Glatze ist frisch rasiert, der Anzug neu. Er sitzt zu perfekt für Igors gedrungenen Körper.
»Er sieht aus wie ein Bodyguard«, flüstert Luna Sam zu.
»Hi, people!«, grüßt Igor lässig.
Es entspinnt sich eine flapsige Unterhaltung, die Sam an die Familientreffen in alten Zeiten erinnert. Eine flattrige, aufgedrehte Stimmung, das Geplänkel, mit dem man Rührung, Überraschung oder Genervtsein überdeckt. Ein paar harmlose Zoten, Gelächter, die Männer setzen sich über ihre neuen Autos in Kenntnis. Igor und Blanca begrüßen einander mit einem wissenden Lächeln, wie zwei Menschen, die ohnehin jeden Tag miteinander Kaffee trinken.
Sam schlägt das Herz bis zum Hals. Es geht los. Und sie hat keine Ahnung, wie sie in zwei, drei Stunden hier weggehen wird. Geschlagen, geprügelt und gescheitert. Oder …
»Sam?« Nikolaj berührt ihre Schulter. »Alles okay?«
»Kann man nicht sagen.«
»Trixi und ich ziehen weg aus Coburg.«
»Ach! Und deine Praxis?«
»Ich fange eben ganz von vorn an. Ich muss es tun. Mir geht hier die Luft aus. Ich kann das nicht durchziehen – Abstand zu den Eltern halten und trotzdem in Fußnähe wohnen. Wir ziehen nach Hannover.«
»Ehrlich, Nikolaj, ich freue mich, dass ihr den Absprung schafft. Tonnenweise Glück!«
Nikolaj schaut verwirrt drein.
»Ich würde vielleicht auch die Biege machen«, fährt Sam fort. »Aber ich brauche Blanca – und sie braucht mich.«
Nikolaj nickt nur, schaut auf die Uhr. »Gleich elf.«
Sam sieht sich um und fragt sich, ob sie mit den negativen Voraussagen doch richtig lag. »Wenn keiner kommt, könnten wir ja gehen«, sagt sie halblaut zu Luna, die gerade neben sie tritt.
»Cool bleiben!« Igor gesellt sich zu ihnen. »Wird schon werden. Netten Kerl hast du dir an Land gezogen, Sam.«
»Oh, danke für das Kompliment.« Sie muss lächeln.
»Sollen wir uns nicht ein Gläschen gönnen?« Igor hat Schweißtropfen auf der Glatze. »Heiß ist es.«
Da nähern sich die ersten Gäste. Sam begrüßt den Bürgermeister, den zweiten Bürgermeister, Direktoren von Schulen, Professoren der FH. Sie schüttelt warme und schwitzige Hände, versucht, die Namen nicht durcheinanderzuwirbeln. Luna steht links neben ihr, Roman rechts. Igor hat einen Klappstuhl für Blanca geholt, auf dem sie sitzt, während sie huldvoll nette Worte aller Art zur Kenntnis nimmt.
Victoria hält Hof. Sie genießt die Ehrerbietung, die Glückwünsche, lässt sich vom Bürgermeister unterhaken und schreitet mit ihm als erstem Besucher die Ausstellung ab.
»Sie ist in ihrem Element«, sagt Robert zu Sam, während sie beide langsam hinterhergehen. »Und sie hat es sich verdient, findest du nicht?«
»Wenn man die Lügengeschichten aufrecht halten will …«
»Sei nicht so. Niemand spricht nur die Wahrheit. Jedes Leben fußt auch auf Falschinformation. Oder nicht?«
»Habt ihr euch versöhnt?«
»Wir sind dabei. Heute kann ich nicht mehr tun, als ihr den Rücken freihalten.«
Sam sieht aus den Augenwinkeln, wie Blanca am Arm eines attraktiven Mannes den kleinen Raum betritt, in dem die Videoinstallation aufgebaut ist.
»Was wird morgen sein? Oder in ein paar Wochen? Wenn die Ausstellung rum ist und diese Beweihräucherungsmaschinerie Vergangenheit?«
»Wir müssen halt das Beste draus machen.«
»Hm.« Sam deutet mit dem Kinn auf den Mann neben Blanca. »Dad, ist das nicht der Lafontaine von der Zeitung?«
Robert dreht sich um. »Ist er. Ich schalte mich da mal ein.«
Mit gemischten Gefühlen sieht Sam ihren Vater auf den Journalisten zugehen. Sie schaut sich nach Roman um. Der behält seinen Posten vor der Tür, um rechtzeitig die Ankunft von Eleni Tsiadis durchzugeben. Falls sie kommt.
Luna plaudert angeregt mit Trixi. Sams Brüder sind irgendwo verschwunden. Immer mehr Menschen drängen in die Ausstellung. Plötzlich wächst Nikolaj direkt vor Sam aus dem Boden. »Hast du an ein Mikro gedacht? Die Leute wollen ihre Reden halten.«
»Shit!« Sam beißt sich auf die Unterlippe. »Wo ist Frau
Weitere Kostenlose Bücher