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Titel: B00DJ0I366 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Vortrag über die sieben Todsünden. Eitelkeit, Geiz, Unkeuschheit, Neid, Unmäßigkeit, Zorn, Trägheit. Ich habe sie auswendig gelernt und festgestellt, dass Neid und Zorn zu mir gehören. Sie sind ein Teil von mir, während Grace bis auf die Trägheit alle anderen in sich vereinigt. Heute denke ich oft, Grace ist durch mich geworden, was sie war, und ich durch sie. Als Einzelkinder wären wir beide zu Prachtweibern herangewachsen. Als Schwestern nahmen wir uns gegenseitig weg, was wir brauchten. Es ist nicht so, dass ich keine Selbstkritik zulassen könnte, Sam. Ich war in jeder Hinsicht zu sehr darauf konzentriert, was Grace bekam und ich nicht. Ich begann mich erst zu entwickeln, als Grace nicht mehr da war.«
    »Wärst du für Mathematik begabt gewesen, wäre alles anders gelaufen. Doch du bist Künstlerin, wie Grace, und das hat den Ausschlag gegeben, dass ihr zu zweit nur eine Bühne hattet.«
    »Während der Griechenlandreise haben wir uns zunächst erstaunlich gut vertragen. Wir waren beide froh, rauszukommen. Grace nach Schwangerschaft und Geburt, ich nach den Monaten, in denen es zwischen mir und Robert nur um die Firma gegangen war. Um Geld, das wir nicht hatten, um den nahen Zusammenbruch und ob es sich überhaupt lohnte, weiterzumachen mit dem Geschäft. Diese Grübeleien, die alle nasenlang bei Adam und Eva begannen, haben mich ausgelaugt, das Rechnen, das Kalkulieren, die Hunderte Blätter, vollgeschrieben mit Zahlen, immer mehr oder weniger dieselben, Tag für Tag mit neuer Hoffnung bekritzelt.« Victoria seufzt. »Weißt du, ich fand John Carrick rührend, wie er um Grace herumtanzte. Mehr auch nicht. Ich war wirklich nicht an ihm interessiert. Ich sehnte mich nach Robert. Danach, dass er zur Abwechslung mir seine Aufmerksamkeit schenkt. Dann standen Grace und ich auf dieser Klippe, ein Abendspaziergang, ein windiger Tag, die Erde und die Felsen waren feucht und die Windrichtung wechselte ständig. John war seiner Wege gezogen. Wir hatten nicht mehr viele Tage vor uns, bis wir nach Deutschland zurückfliegen würden. Wir haben über alles geredet. Wir haben einander keine Vorwürfe gemacht, stattdessen analysiert, alles aufgelistet, was zwischen uns schiefgelaufen ist. Nach einer Weile hat Grace in aller Ehrlichkeit, weil sie eben schon dabei war, gesagt: ›Sam ist Roberts Tochter.‹« Victoria stellt die Teetasse weg. »Da bin ich durchgedreht. Ich habe sie an den Schultern gepackt und geschüttelt, habe sie angefleht zu sagen, dass das nicht wahr ist. Sie hat ganz stumm dagestanden, sich nicht gewehrt. Sie strahlte aus, was ich ohnedies wusste: Dass sie dich gar nicht wollte. Und ich wollte so gern ein Kind, vor allem eine Tochter.«
    Sam spürt die Einsamkeit, die Victoria so geschickt verbirgt. Dieses ganze Familiengetue, der verordnete Zusammenhalt, die erzwungenen Wochenenden: Victoria wollte eine Familie, aber sie wollte sie als Selbstverständlichkeit, als Geschenk, nicht als Trophäe, für die sie in Vorleistung zu treten hatte.
    »Es ist einfach passiert. Vielleicht ist sie ausgerutscht. Ich erinnere mich an ihr verblüfftes Gesicht, als sie über die Klippe stürzte. Sie schrie, doch der Wind blies ihren Schrei hinaus aufs Meer, und ich warf mich auf den Boden und robbte zur Kante, ich suchte Grace, sie war da nicht, ich sah sie nirgends, nicht auf dem Felsvorsprung tief unten, noch sonst wo, und deshalb nahm ich an, sie sei ins Meer gestürzt, und ich wartete und wartete, dass sie wieder auftauchen würde, aber sie kam nicht. Sie war einfach nicht mehr da.«
    »Warum bist du die Klippe nicht hinuntergeklettert?«, fragt Sam.
    »Das war absolut unmöglich. Über 30 Meter, senkrecht, mit Überhang … das ging nicht. Meine Mutter, mein Vater haben mich tausendmal gefragt, warum ich sie nicht gesucht habe. Mein Vater hätte gewollt, dass ich hinterherspringe, mich ins Meer stürze wie ein Adler, um Grace herauszufischen!« Sie lacht verächtlich auf. »Mein Vater konnte nicht akzeptieren, dass Grace tot war. Er tat alles, um das Gegenteil zu beweisen. Mir war irgendwann klar, dass sie nicht mehr lebt. Niemand kann so etwas überleben.«
    »Sie hat überlebt!«
    »Ich kann es nicht glauben.«
    »Du denkst, sie ist nicht Grace, sie tut bloß so?«
    »Nein, sie ist es. Sie ist es, Sam. Von ihrem arroganten Gehabe hat sie nicht gelassen, im Gegenteil.«
    Sam schweigt.
    »Ich wiederhole mich, niemand kann so etwas überleben. Dass Grace davongekommen ist, das war eine Laune der Natur. Ein

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