Babel 1 - Hexenwut
vierhundert Kilometer fahren, wenn sie Babel besuchen wollte - weshalb sie es nicht tat.
Entschlossen lief sie weiter zu ihrem Motorrad, einer MZ 250, die sie einem Sammler abgekauft hatte, der alte Maschinen aufmotzte und wiederherstellte. Babel liebte das Motorrad heiß und innig, obwohl das Ding inzwischen klapprig und alt war und bei jeder Fahrt auseinanderzufallen drohte.
Sie schloss den Reißverschluss ihrer Lederjacke und zog den Pferdeschwanz aus dem Kragen. Nachdem sie den Motor angelassen hatte, sah sie sich noch einmal nach dem Kerl mit dem Fluch um, der noch immer mit den widrigen Umständen kämpfte. Inzwischen hatte er seine Einkäufe aufgesammelt und erneut versucht, die Tür zu öffnen. Wieder hatte er einen Schlag bekommen, aber wenigstens gelang es ihm dieses Mal, das Auto endlich zu öffnen. Damit war das Drama jedoch noch nicht beendet. Als er den Motor anließ, machte der Wagen einen Sprung nach vom und rammte den Pfeiler, der den Parkplatz von der Straße trennte. Es krachte und schepperte - und der folgende Schrei ließ Babel auf ihrer Maschine innehalten.
Sie seufzte. Einen Moment lang zögerte sie noch, dann fuhr sie langsam aus der Parklücke und lenkte die Maschine neben das Auto.
Dir ist nicht zu helfen.
Sie nahm den Helm ab und klopfte an die Autoscheibe.
Mit wutverzerrtem Gesicht ließ der Mann die Scheibe herunter und blaffte: »Was?« Blass sah er aus, und die dunklen Ringe unter den Augen hätten einem Zombie zur Ehre gereicht.
Babel stützte sich auf den Lenker und blickte dem Mann fest in die Augen, bevor sie fast mitleidig sagte: »Das passiert nicht zum ersten Mal, oder? Lassen Sie mich raten. Sie bekommen Dutzende Male am Tag einen Schlag, ganz gleich, was Sie anfassen. Ihre technischen Geräte spielen verrückt, das Auto springt nicht an, und Ihre motorischen Fähigkeiten lassen sehr zu wünschen übrig, denn seit Tagen fallen Ihnen ständig Sachen runter. Mittlerweile überlegen Sie, ob Sie zum Arzt gehen sollen, weil mit Ihren Nerven etwas nicht stimmen kann. Hab ich recht?«
Wie vom Donner gerührt starrte der Mann sie an. »Was?«, fragte er noch einmal, aber Babel wiederholte sich nicht. Sie war ziemlich sicher, den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben. »Wer sind Sie?«
»Spielt keine Rolle. Die Frage ist, ob ich recht habe und ob Sie etwas dagegen tun wollen.«
»Wogegen?«
»Gegen die unglaubliche Pechsträhne, die Sie seit ein paar Tagen haben.«
Misstrauisch beobachtete der Mann sie. Ihm war anzusehen, dass er ihr am liebsten gesagt hätte, sie solle ihn in Ruhe lassen, aber etwas an ihren Worten hatte ihn stutzig gemacht.
»Wie wollen Sie mir helfen?«
»Ganz einfach, ich behebe Ihr Problem.«
»Und das wäre?«
Das war der schwierige Teil. »Sie sind verflucht worden.«
Der Mann lachte.
Babel nicht.
Da hörte der Mann auf zu lachen. »Sie meinen das ernst.«
»Irgendeine Hexe hat Sie mit einem Fluch belegt. Ihre eigene Körperenergie ist aus dem Gleichgewicht geraten, und deshalb laden sich die Dinge, die Sie anfassen, auf. Deswegen funktionieren auch Ihre motorischen Fähigkeiten nicht richtig. Man könnte sagen, durch Ihre Steckdose fließt der falsche Strom.
Können Sie sich vielleicht daran erinnern, wen Sie in letzter Zeit so richtig verärgert haben?«
Ungläubig schüttelte der Mann den Kopf. Sie kannte den Kampf, der sich in seinem Inneren abspielte. Bisher war er nie einer echten Hexe begegnet. In seiner Vorstellung sah eine Hexe aus wie die Baba Jaga in russischen Märchen oder zumindest wie die Verkäuferin in einem Kristall-Laden. Jedenfalls sicher nicht wie eine Blondine mit Lederjacke und Schnürstiefeln, die ein altes Motorrad fuhr. Deshalb kam ihm das, was sie sagte, verrückt vor. Auf der anderen Seite hatte er auch noch nie eine so ungewöhnliche Pechsträhne erlebt. Als würde er ihn laut aussprechen, konnte sie diesen einen Gedanken hören: Ich glaub das zwar nicht, aber man kann ja nie wissen.
Seine Überlegungen spiegelten sich so deutlich in seinem Gesicht, dass Babel genau den Zeitpunkt erkannte, an dem er sich dachte: Ach, was soll's.
»Was können Sie dagegen machen?«
»Ich breche den Fluch.«
»Und was wollen Sie dafür?«
»So viel Sie geben möchten.«
Zögerlich nickte er. »Und was muss ich tun?«
»Gar nichts.« Sie stieg von der Maschine und betrachtete den silbernen Ring an ihrem Mittelfinger. Er war schlicht, aber aufgeladen mit ihrer Energie. Sie besaß viele solcher Ringe, denn für den Alltag einer
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