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Babel 1 - Hexenwut

Babel 1 - Hexenwut

Titel: Babel 1 - Hexenwut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Winter
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der Schellfisch vom Mittag quer.
    Sie betrat das Gebäude, in dem es nach Zitrusreiniger und Beton roch, und versuchte, das ungute Gefühl abzuschütteln, das sie verfolgte, seit sie ihr Haus im Norden der Stadt verlassen hatte. Doch es ließ sich nicht vertreiben.
    In der ersten Etage bog sie in einen Gang ein. Vor Zimmer 104 stand der Tisch mit den Thermoskannen und den trockenen Kuchen. Dieses Mal gab es Streusel mit Apfelstücken. Daneben lagen Servietten, die in schreiendem Pink verkündeten:S EI EINE P RINZESSIN JEDEN T AG!
    Unschlüssig blickte Babel auf den Serviettenstapel hinab, dessen Farbe sich in ihre Retina brannte, während sich um ihre Füße eine kleine Pfütze bildete. Im Moment fühlte sie sich weniger wie eine Prinzessin, sondern mehr wie deren weniger glamourös gekleidete, halb nasse Stiefschwester.
    »Maike hat sie für dich mitgebracht. Zum Geburtstag. Ich werde sie zwingen, sich nachher öffentlich dafür zu entschuldigen«, sagte auf einmal eine tiefe Stimme mit angenehmem Timbre hinter ihr. An den Türrahmen gelehnt stand eine Gestalt, die das auf den Flur fallende Licht fast vollständig verdeckte.
    »Hallo, Tamy«, erwiderte Babel und musste unwillkürlich grinsen. »Irgendwann musst du mir mal verraten, wie du immer weißt, wann ich hier auftauche.«
    »Du bist pünktlich, das ist kein Kunststück.«
    Tamy war fast eins neunzig groß, und ihr Kreuz hätte jedem Preisboxer zur Ehre gereicht. Sie trug eine ausgeblichene Jeans, Springerstiefel, und über ihre Schultern spannte sich eine schwarze Lederjacke, Babels nicht unähnlich, nur war ihre abgetragen und an den Ellbogen brüchig. Der lange Pferdeschwanz reichte Tamy in dicken Wellen bis zum Hintern, und das Licht der Neonröhren ließ die Nieten an ihren Armbändern aufblitzen. Sie trug ein T-Shirt der Band Scary Bitches, das gut zu ihr passte, denn sie sah nicht nur gefährlich aus, sie war es auch - und es war schlichtweg unmöglich, sie zu übersehen.
    Nachdem sie neben Babel getreten war, griff sie sich, ohne mit der Wimper zu zucken, die Servietten und warf sie in den Mülleimer, der unter dem Tisch stand. Mit der Stiefelspitze schob sie ihn weit nach hinten an die Wand. »Pinke Servietten lösen Brechreiz in mir aus«, erklärte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Verstehe.«
    Kritisch blickte sie auf Babel herab. »Geht's dir gut?«
    »Aber ja.«
    »Bist du sicher? Du siehst blass aus.«
    »Das ist das Kunstlicht.«
    Tamy schnaufte und schaute dabei drein, als wolle sie Babel jeden Moment wie eine junge Katze am Nacken packen und schütteln. Sie hatten alle ihre Schwächen, und Tamy schien jede einzelne zu riechen. Vielleicht weil sie sich mit ihren eigenen so gut auskannte.
    »Babel?«
    »Es geht mir gut.« Sie nahm ein Stück Kuchen, aber auf den Kaffee verzichtete sie dieses Mal; sie war schon aufgedreht genug.
    Als sie den Raum betraten, in dem das Treffen stattfand, nickte Babel einigen bekannten Gesichtern zu. Doch bevor sie sich setzen konnten, kam Maike, die Gruppenleiterin, auch schon auf sie zugestürmt. Ihr Bück war ein einziger Vorwurf.
    »Weißt du, Babel, wir haben auch Servietten. Man muss ja nicht den ganzen Raum vollkrümeln.« Tadelnd sah sie erst Babel und dann den Kuchen in ihrer Hand an, während sich Tamy hinter Maikes Rücken ins Fäustchen lachte.
    Babel warf ihr einen finsteren Blick zu, bevor sie zähneknirschend zu Maike sagte: »Entschuldige, ich werde das nächste Mal daran denken.«
    Mit säuerlicher Miene drehte sich Maike um und ließ sie stehen. Sie suchten sich in der letzten Stuhlreihe einen Platz und saßen eine Weile schweigend nebeneinander, während Babel den Kuchen in sich hineinstopfte und nach dem zweiten Bissen fast an einem Krümel erstickte. Mit ihrer großen Hand schlug ihr Tamy auf den Rücken, aber das machte es nur schlimmer.
    »Willst du mich umbringen?«, fragte Babel empört und hochrot im Gesicht. Manchmal konnte Tamy ihre Kraft einfach nicht richtig einschätzen. Vermutlich war das einer der Gründe, warum sie nicht mit kleinen Hunden arbeitete.
    Entschuldigend hob Tamy die Hände, und nach einer Weile sagte sie: »Willst du mir jetzt endlich erzählen, was los ist?«
    Unter ihrem inquisitorischen Blick fühlte sich Babel ertappt. Langsam legte sie den angebissenen Kuchen auf den Nachbarstuhl, wischte sich die Hände an der Hose ab und zog den blutroten Umschlag aus der Innentasche ihrer Jacke. Er hatte am Morgen in der Post gesteckt und war noch

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