Babel 1 - Hexenwut
ungeöffnet.
Vielleicht kam das ungute Gefühl doch nicht vom Schellfisch.
Vorsichtig drehte sie den Brief zwischen den Fingern, als wäre er eine Kapsel Zyankali. »Kannst du das riechen?«, flüsterte sie. »Das ist der Geruch der Verführung.«
»Er riecht nach Bier?«
Babel lachte, und einige Köpfe drehten sich nach ihnen um. »So etwas in der Art.«
Er riecht nach Dämon. Und Macht.
»Soll ich ihn für dich öffnen?«
»Nein. Das ist nicht nötig. Ich meine ... ich werde ihn sowieso nicht öffnen. Ich weiß ja, was drinsteht. Es ist immer dasselbe.«
Babel, Liebling ... da du nicht... erinnerst du dich noch, als wir ...du weißt, wie sehr ich dich ... blabla ...
Oder so etwas in der Art.
Stirnrunzelnd betrachtete Tamy sie. »Hast du das im Griff, Babel?«
»Ja. Wahrscheinlich.« Sie nickte. »Ich hab das im Griff.«
»Na schön, wie du meinst. Aber ruf mich an, wenn du ... Du weißt schon ...«
»Ja, ich weiß.« Wenn sie den Drang verspürte, etwas Unvernünftiges zu tun.
In Tamys Fall wäre das, nach einem Glas Martini zu greifen, in ihrem, einem Huhn den Kopf abzuschlagen und mit seinem Blut Runen auf den Boden zu zeichnen.
Plötzlich musste sie an ihre Mutter denken, und wie sie Judith und Babel als Teenager nie vorgeschrieben hatte, wann sie zu Hause sein sollten. Nie hatte sie ihre Töchter gewarnt, auf Partys nicht zu viel zu trinken. Sogar als sie Babel mit ihrer ersten Zigarette und Judith mit ihrem ersten Freund erwischt hatte, waren ihre Worte nur gewesen: »Ich hoffe, du weißt, was du da tust.« Die einzige Sorge ihrer Mutter hatte immer nur den anderen Ebenen gegolten.
Pech nur, dass Babel wie die meisten Teenager durch eine rebellische Phase gegangen war und geglaubt hatte, ihre Mutter wolle sie von etwas fernhalten, nur weil sie es nicht mochte. Als Babels Klassenkameraden also in ihrer rebellischen Phase Joints gedreht hatten, hatte sie Dämonen beschworen. Während andere Teenager jedoch unbeschadet aus ihrer Rebellion herausgekommen waren, hatte sie ihre mit Anfang zwanzig zu AA geführt, weil sie völlig die Kontrolle über ihr Leben verloren hatte.
Hi, ich bin Babel, und ich bin ein Dämonenjunkie.
Natürlich hatte sie das damals nicht ausgesprochen - die meisten Leute glaubten nicht an Magie, und wenn man ihnen sagte, dass man ihr Blut zum Kochen bringen konnte, nahmen sie das nicht wörtlich. Aber das Problem war genau das gleiche. Den quälenden Sog der Versuchung verspürte Tamy genauso wie sie, und als Babel vor zehn Jahren den Boden unter den Füßen verloren hatte, hatte sie Hilfe in dieser Gruppe gefunden, die sich mit Versuchung und Angst so gut auskannte. Tamy war ihr sogenannter Sponsor geworden - ein Pate, den man anrufen konnte, wenn man außerhalb der Treffen Hilfe brauchte - und passte seitdem auf sie auf. Oder versuchte es zumindest. Manchmal überlegte Babel, ob sie Tamy nicht in ihr Geheimnis einweihen sollte, aber bis jetzt hatte sie noch nicht den Mut dazu gefunden.
»Willst du, dass ich ihn für dich nehme?«, fragte Tamy in ihre Gedanken hinein und deutete auf den Umschlag, aber Babel schüttelte den Kopf.
»Schon in Ordnung, jeder muss mit seinen Dämonen selbst fertig werden, nicht wahr?«
Tamy sah sie skeptisch von der Seite an, fragte aber nicht weiter, wofür sie ihr dankbar war. Babel tat eben, was sie so tat -und Tamy tat, was sie so tat. Was meistens mit blauen Flecken und manchmal mit gebrochenen Nasenbeinen einherging. Sie war Türsteherin im Smash, einem angesagten Club im Süden der Stadt - und wer einmal erlebt hatte, wie sie gestandene Kerle in die Knie zwang, wusste, dass dies nicht nur ein Job für Männer war.
Babel steckte den Brief zurück in die Innentasche der Jacke, wo er ein Loch in das Leder zu brennen schien.
Warum kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen, Sam?
Wenn sie nach Hause käme, würde sie den Brief verbrennen, nahm sie sich vor. Nichts würde sie dazu bringen, ihn zu behalten. Mit seinem schwachen Geruch nach Dämon und Sam war er für sie wie eine tickende Zeitbombe, und so etwas stellt man sich nicht auf den Kaminsims. Nicht als Hexe mit einem Magieproblem. Seit vier Jahren hatte sie Sam nicht mehr gesehen, und das war auch besser so. Der Bruch, der durch Hilmars Tod vor zehn Jahren zwischen ihnen entstanden war, konnte nie wieder richtig gekittet werden.
Nachdenklich sah sie auf ihre Hände, auf denen die blassen Narben der Ritualschnitte noch immer zu sehen waren. Die meisten Leute glaubten, sie würde
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