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Babel 1 - Hexenwut

Babel 1 - Hexenwut

Titel: Babel 1 - Hexenwut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Winter
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sich ritzen, daher steckte sie die Hände oft in die Hosentasche.
    Als hinter ihnen geräuschvoll die Tür geschlossen wurde, blickte Babel auf. Maike ging nach vom, um die Gruppe zu begrüßen, wie sie es jeden Montag tat. Neugierig sah sich Babel um, aber der Mann vom Eingang war nicht hereingekommen. Das wunderte sie nicht. Die wenigsten schafften es beim ersten Mal. Sie selbst hatte drei Anläufe gebraucht.
    Sie atmete tief durch und überlegte, ob sie etwas sagen wollte. Immerhin war heute trotz allem irgendwie ein Tag, an dem man Bilanz ziehen konnte. In dieser Bilanz fand sich weder eine funktionierende Beziehung noch ein liebevolles Familienleben. Dafür aber ein Kredit, der Babel die Haare vom Kopf fraß, eine zweifelhafte Vergangenheit, ein besessenes Haustier und Probleme mit den Magieebenen. Ein paar positive Dinge gab es dennoch zu verbuchen: Das Geschäft mit Karl lief gut, und sie hatte sogar Freunde (na gut, einen Geschäftspartner und eine AA-Sponsorin). Außerdem war da auch der Fakt, dass sie noch am Leben war, und der wog schließlich einiges auf, oder?
    Sie spürte, wie die Unruhe langsam von ihr abfiel, obwohl ihr das Gefühl, beobachtet zu werden, noch immer im Nacken saß.
    Nach ein paar Minuten stieß Tamy sie mit der Schulter an und flüsterte ihr ins Ohr: »Happy Birthday, Babel!«
    In der Tat.
    2
    T RAIN AND C ARE stand in altmodischen Lettern an der Tür, hinter der Dolly Parton laut Your beauty is beyond compare, with flaming locks of auburn hair sang. Unterstützt wurde sie dabei von einer Männerstimme, die keinen einzigen Ton traf- das aber laut und entschieden. Der Geruch nach Zigarillo drang auf den dämmrigen Hausflur des alten, dreigeschossigen Wohnhauses, in dem außer ihrem Büro, Karls Wohnung und dem Geschäft der Hutmacherin im Erdgeschoss niemand zu finden war. Hinter der Milchglasscheibe erhoben sich die stumpfen Schatten der Büromöbel, und Humphrey Bogart wäre von der Mischung aus Schäbigkeit und Professionalität, die das Büro ausstrahlte, wahrscheinlich ganz angetan gewesen.
    Das Haus lag unweit vom Zentrum in einer der wenigen Straßen, die noch nicht saniert worden waren. Bis Mitte der achtziger Jahre war sie eine belebte Einkaufsstraße gewesen, in der die Bewohner der umliegenden Häuser sich zum Plausch vor den Geschäften getroffen hatten. Inzwischen waren die Leute jedoch in bessere Viertel gezogen, und die meisten Häuser standen leer. Die Ladengeschäfte waren fast alle geschlossen und ihre Fensterscheiben mit Plakaten beklebt. Nur der Spätimbiss an der Ecke und der Zeitungsladen vier Häuser weiter behaupteten stoisch ihre Plätze. Die Straße schlief einen Domröschenschlaf, in den sie nach der Wende gefallen war, und wartete darauf, dass die Stadtverwaltung sie wach küsste.
    Es war der ideale Platz, um als Hexe unbemerkt seinen Geschäften nachzugehen.
    Als Babel die Messingklinke nach unten drückte, brach der Männergesang ab, und Dolly wurde ein paar Dezibel heruntergedreht, obwohl sie sich gerade zum Höhepunkt des Liedes emporschwang.
    Jolene, Jolene ...
    »Es ist grauenvoll«, schallte es Babel entgegen.
    Mit einem Tequila Sunrise in der einen und einem Zigarillo in der anderen Hand saß Karl am Schreibtisch, die Füße auf der Tischplatte, und sah dabei aus wie der ältere, weniger zurückhaltende Cousin von Asterix. Für einen Mann war er klein, dafür zierte ein beachtlicher Schnurrbart sein Gesicht, dessen Enden bis zu seinem Kinn reichten und der so weizenblond war wie Babels eigenes Haar.
    Hinter ihm stand die uralte Anlage, auf der sich in schiefer Höhe Dollys Platten stapelten, und darüber war ein Bord befestigt, das Babel nicht ganz unberechtigt den Schrein nannte. Dollys gerahmtes Bild stand in der Mitte, umgeben von Kerzen, einem Autogramm und einem benutzten Taschentuch, das angeblich ihr gehört hatte.
    Karl bildete sich gern ein, dass Babel ohne ihn nicht überleben konnte, und behauptete, die zwanzig Jahre Altersunterschied berechtigten ihn dazu, sie Mädel zu nennen. Die Wahrheit war, dass sie sich gegenseitig brauchten, denn die Firma lief auf seinen Namen, und er hatte sie offiziell als Personal Trainer angestellt. So erhielten sie beide eine Steuernummer, und solange sie pünktlich ihre Steuern zahlten, interessierte es niemanden, worin genau die von ihnen angebotene Hilfe in allen Lebenslagen eigentlich bestand. Seit sie Partner geworden waren, war die notorische Geldknappheit aus Babels Leben verschwunden, wofür sie

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