Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
einzige Grund. Ihr stetiges Doppelleben und all die kleinen Lügen im Alltag, an die man sich von Kindesbeinen an gewöhnte, förderten Misstrauen anderen Menschen gegenüber und brachten häufig asoziale Tendenzen mit sich.
Daniels wiederholte Annäherungsversuche hatten wohl eher etwas mit Trophäe und sehr wenig mit Sympathie zu tun, wenn es um Babel ging.
Er wohnte in einem ehemaligen Arbeiterviertel der Stadt, in dem viele alte Fabriken zu modernen Wohnungen umgebaut wurden und sich ein alternatives Publikum angesiedelt hatte. Auf dem Gelände eines ehemaligen Busbahnhofs hatte die Stadt die Verwaltungsgebäude und Werkstätten an sanierungswillige Käufer abgegeben. Das Gelände überzog ein Flickenteppich unterschiedlicher Straßenbeläge. Kopfsteinpflaster, Asphalt und Schotterkies reihten sich ohne erkennbaren Sinn aneinander. Vereinzelt fanden sich sogar Löcher im Boden, um die mit Neonfarbe nachlässig ein Kreis zur Warnung gesprüht worden war. Es roch nach feuchtem Beton und heißem Metall, und vor den meisten Eingangstüren lagen Bierdosen, die als Aschenbecher dienten.
Erleichtert sah Babel auf ihre Stiefel, deren Sohlen trotz des schwierigen Pflasters Halt fanden. Sie deutete auf ein Haus am anderen Ende des Geländes: »Das da hinten ist es.«
»Woher weißt du das? Ich denke, du warst noch nie hier?«
»Er hat das Revier markiert.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Babel merkte, dass Tamy stehen geblieben war. Irritiert drehte sie sich nach ihr um, aber dann begriff sie.
Sie lachte. »Nein, nicht so, wie du denkst. Er führt sich zwar manchmal auf wie ein Köter und will gern alles bespringen, aber um in die Ecken zu pinkeln, ist er sich zu fein.« Sie zeigte auf das offene Eisentor, das aufs Gelände führte. »Das Tor ist magisch gekennzeichnet. So weißt du als Hexe genau, wann du in das Revier einer anderen trittst. Das ist wie ein Namensschild.«
Skeptisch lief Tamy weiter, und Babel zuckte entschuldigend mit den Schultern. Manchmal vergaß sie, dass es viele Dinge gab, die einem normalen Menschen eigenartig erscheinen mussten, wenn er mit Hexen zu tun hatte. Mit Karl war es ihr am Anfang genauso ergangen.
Über dem Eingang zu Daniels Haus stand in großen Lettern Reparatur . Wenn es stimmte, was er ihr erzählt hatte, besaß er eine Loftwohnung im zweiten Stock. Babel sah nach oben. Die Krähe flog an der Fensterfront vorbei, die sich vom Fußboden bis zur Decke erstreckte. Hinter dem Glas befand sich nur ein großer Raum, dessen Wände nicht tapeziert, sondern mit Beton ausgekleidet waren. Alles wirkte brachial, aber auch irgendwie beruhigend.
Daniel saß hinter einem Schreibtisch, der ganz aus Glas bestand, sowohl die Platte als auch die massiven Beine. Er trug eine bequeme Leinenhose und ein passendes Hemd, und die blonden Haare wurden an den Schläfen bereits grau, obwohl er gerade Mitte dreißig war. Konzentriert beugte er sich über Papiere und warf hin und wieder einen Blick auf den Laptop. Auch wenn er nicht ihr Typ war, konnte sie doch verstehen, was manche Frauen an ihm fanden. Er war nicht außergewöhnlich gut aussehend, aber er hatte diese Aura absoluter Selbstsicherheit um sich, die so selten zu finden war. Viele Leute fühlten sich davon angezogen.
Auf einmal sah er auf und fixierte die Fenster. Hitze drang auf Babel ein. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme, und das Bild der Krähe wurde blass, bis es nur noch eine graue Fläche war. Babel spürte noch immer die Verbindung zu dem Tier, aber das Bild war nicht mehr zu sehen.
»Mist«, murmelte sie. »Er hat gemerkt, dass ich da bin und die Krähe einsetze.« Das hätte sie ihm gar nicht zugetraut. Seit ihrer letzten Begegnung musste er ein paar neue Tricks gelernt haben. Unsicher blickte Babel auf die Tür, die von selbst aufsprang, weil jemand den Summer bedient hatte. Zweifellos Daniel. Sollte sie einfach so hineingehen? Aber für eine neue Taktik war es nun zu spät.
»Warte im Hausflur!«, sagte sie. »Wenn du was hörst, komm hoch.«
Tamy nickte ernst, und langsam stieg Babel die Treppen nach oben. Kaum hatte sie den ersten Absatz erreicht, spürte sie auch schon Daniels Schutzmechanismen, die im Haus verankert waren und ihn warnten, wenn sich ein magisch Aktiver in seine Nähe begab. Als sie in der zweiten Etage ankam, stand Daniel schon mit verschränkten Armen in der Türöffnung. Sein Schutzwall war aktiv, Babel spürte seine Magie wie ein Kratzen auf der Haut und auch sie aktivierte die Magie. Für einen
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