Babettes Fest
hatten allesamt Martine und Philippa als kleine Mädchen gekannt und miterlebt, wie sie über eine zerbrochene Puppe bittere Tränen vergossen hatten. Die Tränen jetzt in Martines Augen machten auch ihnen die Augen feucht. Am Nachmittag kamen sie zusammen und sprachen die Sache durch.
Bevor sie auseinandergingen, gelobten sie einander, daß sie den kleinen Schwestern zuliebe an dem großen Tage unter keinen Umständen über Speis und Trank ein Wort verlauten lassen wollten. Nichts, was man ihnen vorsetzen würde, und sollten es selbst Frösche oder Schnecken sein, würde ihren Lippen ein Sterbenswort entringen.
«Denn ob sie auch schweiget», sagte ein weißbärtiger Bruder, «die Zunge ist doch allemal klein unter den Gliedern des Leibes und bewirket doch viel. Die Zunge kann kein Mensch bezähmen, sie ist zuchtlos und vom Übel, und ist voller Gift. Am Tage unseres Meisters wollen wir unsere Zungen reinmachen von allem Geschmack und sie reinigen von aller Lust und allem Ekel der Sinne, um sie zu bewahren und zu behüten für das höhere Geschäft des Lob-und Dankgesanges.»
So spärlich waren die Begebenheiten im stillen Leben der Berlevaager Bruderschaft, daß sie sich in diesem Augenblick tief bewegt und erhoben fühlten. Sie bekräftigten ihr Gelübde mit einem Händedruck, und ihnen war zumute, als täten sie es im Angesicht ihres Meisters.
8. Der Choral
Am Sonntagmorgen begann es zu schneien.
Die weißen Flocken fielen schnell und dicht; die schmalen Fensterscheiben des gelben Hauses waren bald zugewachsen.
Am frühen Vormittag brachte ein Reitknecht aus Fossum den zwei Schwestern ein Briefchen. Die alte Frau Löwenhjelm lebte immer noch in ihrem Landhaus. Sie war jetzt neunzig Jahre alt und stocktaub und hatte auch den Geruchs-und Geschmackssinn völlig verloren. Doch hatte sie zu den ersten Anhängerinnen des Propstes gezählt, und nun wollte sie sich weder von ihrer Gebrechlichkeit noch von den Strapazen einer Schlittenreise abhalten lassen, seinem Gedächtnis Reverenz zu erweisen. Inzwischen sei, so schrieb sie in ihrem Brief, ihr Neffe, General Lorens Löwenhjelm, unerwartet zu Besuch gekommen; er habe sich in tiefster Verehrung über den Propst geäußert, und sie bitte um die Erlaubnis, ihn mitbringen zu dürfen.
Es werde ihm gut tun; der gute Junge scheine sich in etwas niedergeschlagener Stimmung zu befinden.
Martine und Philippa erinnerten sich sogleich des jungen Offiziers und seiner Besuche; es tat ihnen wohl in ihrer gegenwärtigen Beunruhigung, sich über vergangene glückliche Tage zu unterhalten. Sie schrieben zurück, General Löwenhjelm sei herzlich willkommen. Auch Babette wurde hereingerufen und unterrichtet, sie würden nun zwölf bei Tische sein; die Schwestern fügten hinzu, daß der neuangemeldete Gast mehrere Jahre in Paris gelebt habe. Babette schien über die Nachricht erfreut und versicherte den Damen, zu essen sei genug da.
Die beiden Hausherrinnen trafen ihre kleinen Vorbereitungen im Wohnzimmer. In die Küche wagten sie keinen Fuß zu setzen, denn Babette hatte sich auf rätselhafte Weise einen Kombüsenmaat von einem im Hafen liegenden Schiff gegriffen – den Jungen, den Martine damals die Schildkröte hatte bringen sehen –; er sollte ihr in der Küche helfen und das Essen auftragen, und nun hatten die beiden, die dunkelhaarige Frau und der rothaarige Junge, gleichsam als Hexe mit Hausgeist, diese Regionen in Besitz genommen. Den Damen blieb völlig unbekannt, was da seit Tagesanbruch an Feuern brannte und an Kesseln brodelte.
Tischwäsche und Geschirr waren wie von Zauberhand geplättet und geputzt, Gläser und Karaffen standen bereit; nur Babette wußte, woher sie kamen. Das Propsthaus verfügte über keine zwölf Eßzimmerstühle; man hatte das große roßhaargepolsterte Sofa aus dem Salon ins Eßzimmer geschoben, und der Empfangsraum, ohnehin schon spärlich möbliert, sah nun ohne das Möbelstück seltsam kahl und leer aus.
Martine und Philippa taten ihr Bestes, die ihnen verbliebenen Bereiche zu verschönern. Was ihren Gästen auch an Unbill bevorstehen mochte, sie sollten es wenigstens nicht kalt haben, und so fütterten die Schwestern den gewaltigen alten Kachelofen von früh bis spät mit Birkenprügeln. Sie schlangen eine Wacholdergirlande um das Porträt ihres Vaters an der Wand und stellten Kerzenleuchter auf das unter dem Bild stehende Nähtischchen ihrer Mutter; sie verbrannten Wacholderzweige, damit es gut duftete. Mitunter überlegten sie, ob der Schlitten
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