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Babettes Fest

Babettes Fest

Titel: Babettes Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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aus Fossum bei diesem Wetter durchkommen würde: Zu guter Letzt legten sie ihre schon recht alten besten schwarzen Kleider an, mit den goldenen Kreuzchen von der Konfirmation. So setzten sie sich hin, falteten die Hände im Schoß und gaben sich in Gottes Hand.
Die alten Brüder und Schwestern langten grüppchenweise an und traten langsam und feierlich ins Zimmer.
Der niedrige Raum mit seinem kahlen Fußboden und dem dürftigen Mobiliar war den Jüngern des Propstes teuer. Draußen hinter seinen Fenstern lag die große Welt. Von hier innen gesehen, war diese große Welt jetzt in ihrem winterlichen Weiß sehr säuberlich rosa, blau und rot von den Hyazinthen auf den Fensterbrettern eingefaßt. Im Sommer aber, wenn die Fenster offenstanden, hatte die große Welt draußen einen etwas anderen, ebenso zarten Rahmen aus weißen Musselinvorhängen.
An diesem Abend empfing die Gäste gleich an der Türschwelle ein Hauch von Wärme und Wohlgeruch, und sie blickten ihrem geliebten Meister ins Gesicht – es war mit Grün umkränzt. Ihre Herzen und ihre blutleeren Finger begannen aufzutauen.
Nach einem kurzen Schweigen stimmte ein betagter Bruder mit zitterndem Falsett einen vom Meister selbst verfaßten Choral an:
«Jerusalem, du hohe Stadt, Du Name, teuer mir …»
Eine nach der anderen fielen die Stimmen ein, dünne, brüchige Frauenstimmen, das tiefe Gebrumm ehemals seefahrender Brüder, und über allen Philippas heller Sopran, ein bißchen mitgenommen vom Alter, aber noch immer engelhaft. Unwillkürlich hatten die Sänger einander bei den Händen gefaßt. Sie sangen den Choral zu Ende, brachten es aber nicht übers Herz, es damit genug sein zu lassen, sondern begannen einen zweiten:
«Speis und Trank und schnöde Hülle Kümmern Gottes Kinder nicht …»
Die Damen des Hauses fühlten sich von diesem Lied etwas aufgerichtet, und die Worte im dritten Vers:
«Gäbst du Steine wohl und Nattern Deinem Kind als Speise hin? …» trafen Martine mitten ins Herz und flößten ihr Hoffnung ein.
Der Choral war noch nicht beendet, da hörte man draußen Schlittenglöckchen. Die Gäste aus Fossum waren angekommen.
Martine und Philippa eilten ihnen entgegen und führten sie ins Empfangszimmer. Frau Löwenhjelm war vor Alter winzig klein geworden; ihr Gesicht fahl wie Pergament und sehr still. General Löwenhjelm an ihrer Seite, groß, breit, mit frischem Gesicht, in leuchtender Uniform, die Brust mit Orden bedeckt, stolzierte und prunkte wie ein Wappenvogel, ein Goldfasan oder Pfau, in dieser anspruchslosen Gesellschaft von Krähen und Dohlen.

9. General Löwenhjelm

General Löwenhjelm war in einer seltsamen Stimmung von Fossum nach Berlevaag herübergefahren. Er war dreißig Jahre nicht mehr in dieser Gegend des Landes gewesen; er hatte sich zu dem Besuch entschlossen, weil er von dem betriebsamen Hofleben Ruhe suchte, aber er hatte diese Ruhe nicht gefunden. Das alte Gutshaus in Fossum war friedlich genug; es wirkte so rührend klein nach den Tuilerien und dem Winterpalast.
Aber es beherbergte eine beunruhigende Gestalt: der junge Leutnant Löwenhjelm wandelte durch die Räume.
General Löwenhjelm sah die hübsche, schlanke Gestalt nah an sich vorüberwandeln. Und im Vorübergehen warf der junge dem älteren einen kurzen Blick und ein Lächeln zu, das hochmütige, arrogante Lächeln, das die Jugend fürs Alter hat. Der General hätte zurücklächeln können, das freundliche, etwas traurige Lächeln, das man im Alter für die Jugend hat; aber Tatsache war leider, daß ihm nach Lächeln nicht zumute war. Er befand sich, wie seine Tante geschrieben hatte, in niedergeschlagener Stimmung.
General Löwenhjelm hatte alles erlangt, wonach er im Leben gestrebt hatte, und wurde von jedermann bewundert und beneidet.
Nur er selbst wußte von einer seltsamen Tatsache, die an der Vorzüglichkeit seiner Existenz nagte: daß er nämlich nicht völlig glücklich war. Irgendwo stimmte etwas nicht, und er tastete sein geistiges Ich sorgfältig nach allen Seiten ab, so wie man an einem Finger herumdrückt, um festzustellen, wo ein unsichtbarer, tiefeingedrungener Dorn sitzt.
Er stand bei den regierenden Häusern hoch in Gunst, er hatte in seinem Beruf Erfolg gehabt, er besaß Freunde überall. Der Dorn saß in keinem dieser Bezirke.
Seine Frau war brillant in jeder Hinsicht und sah immer noch gut aus. Vielleicht vernachlässigte sie den Haushalt ein wenig zugunsten ihrer Reisen und Gesellschaften; sie wechselte alle drei Monate die Dienstboten, und

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