Babettes Fest
Übungsplätzen und ein sanftes Echo gehabt hatte in Königspalästen; gleichzeitig aber sprach er auf eine für ihn selbst so neue und ihn seltsam bewegende Weise, daß er nach dem ersten Satz eine Pause machen mußte. Er war sonst gewohnt, seine Reden mit Sorgfalt vorzubereiten und dem jeweiligen Zweck anzupassen; hier aber, inmitten der einfältigen Brüdergemeinde des Propstes, war es plötzlich so, als wäre seine Gestalt – er, der General Löwenhjelm, mit ordenbedeckter Brust – nur das Sprachwerkzeug für eine Botschaft, die übermittelt werden sollte.
«Der Mensch, meine Freunde», sagte General Löwenhjelm, «ist schwach und töricht.
Uns allen ward kundgetan, daß wir Gnade finden sollen in der Schöpfung. Aber in unserer menschlichen Torheit und Kurzsichtigkeit bilden wir uns ein, die göttliche Gnade sei etwas Begrenztes, und das macht uns zittern …» Nie im Leben hatte der General verkündet, daß ihn etwas zittern mache; er war ehrlich erstaunt und sogar schockiert, als er sich mit eigener Stimme diese Feststellung treffen hörte. «Wir zittern, bevor wir unsere Wahl im Leben treffen, und wenn wir sie getroffen haben, zittern wir aufs neue, aus Furcht, daß wir falsch gewählt haben. Aber es kommt der Augenblick, da wir sehend werden und erkennen lernen, daß die Gnade unbegrenzt ist. Gottes Gnade, meine Freunde, will nichts weiter von uns, als daß wir vertrauensvoll ihrer harren und sie in Dankbarkeit hinnehmen. Die Gnade, ihr Brüder, stellt keine Bedingungen und sondert keinen von uns aus der Reihe heraus; die Gnade nimmt uns alle an die Brust und verkündet uns Generalamnestie. Sehet an! was wir uns erwählet haben, das wird uns geschenkt, aber auch, was wir von uns wiesen, wird uns gleichermaßen zuteil. Ja, eben das, was wir verworfen haben, ergießt sich über uns im Überfluß. Denn Erbarmen und Wahrheit sind einander begegnet; Rechtschaffenheit und Seligkeit sind zusammengekommen in einem Kuß!»
Die Brüder und Schwestern hatten die Rede des Generals nicht bis aufs letzte verstanden; aber sein gesammelter und erleuchteter Gesichtsausdruck und der Klang wohlbekannter und herzbewegender Worte waren allen tief ins Gemüt gedrungen. Solchermaßen gelang es dem General Löwenhjelm nach einunddreißig Jahren, wahrhaftig im Hause des Propstes das Tischgespräch zu beherrschen.
Was sich weiterhin an diesem Abend begab, läßt sich hier nicht mit Sicherheit berichten. Keiner von den Gästen hatte später noch eine klare Erinnerung daran. Sie wußten nur, die Zimmer waren erfüllt von einem Himmelslicht, als wären viele kleine Heiligenscheine zu einem mächtigen Strahlenschimmer verschmolzen. Stummgewordene alte Menschen wurden von neuem sprachbegabt; Ohren, seit Jahren beinahe taub, wurden aufgeschlossen für das Wort. Die Zeit sogar verschwamm und mischte sich mit Ewigkeit.
Lang nach Mitternacht noch glänzten die Fenster des Hauses golden, und golden strömte Gesang hinaus in die Winterluft.
Die zwei alten Weiber, die sich mit Lästerreden verfolgt hatten, wanderten in Gedanken einen weiten Weg zurück, vorbei an der bösen Zeit, da sie ineinander verbissen waren, und trafen sich in den frühen Mädchentagen, als sie zusammen Konfirmationsunterricht hatten und Hand in Hand laut singend durch die Fluren von Berlevaag zogen. Ein Gemeindebruder stieß einen andern jählings in die Rippen, wie es Knaben in rauher Herzlichkeit tun, und rief ihm zu: «Du hast mich bemogelt mit dem Holz damals, alter Gauner!» und der Angeredete wollte schier umkommen vor homerischem Gelächter, doch mit Tränen in den Augen. «Bemogelt, das ist wahr, lieber Bruder», rief er. «Bemogelt, und nicht zu knapp.»
Schiffer Halvorsen und Witwe Oppegaarden fanden sich in einer Ecke aneinandergeschmiegt und tauschten endlich den langen, langen Kuß, für den sie in der Heimlichkeit und Unrast ihrer jugendlichen Liebesaffäre nie Zeit gehabt hatten.
Die Anhänger des alten Propstes waren schlichte Gemüter. Wenn sie sich in späterer Zeit des Abends entsannen, kam keinem von ihnen je in den Sinn, daß ihnen die gemeinsame Stunde der Erhebung etwa aus eigenem Verdienst beschert worden sei. Ihnen war klar, die grenzenlose Gnade, von der General Löwenhjelm gesprochen hatte, war ihnen zuteil geworden, und sie wunderten sich nicht einmal über die Tatsache, denn sie war ja nur die Erfüllung einer stets gehegten Hoffnung. Die eitlen Truggebilde dieser Erde hatten sich vor ihren Augen wie Rauch aufgelöst, und sie hatten das
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