Babettes Fest
sie hinzu: «Wir werden alle den Abend im Gedächtnis behalten, wenn du wieder in Paris bist, Babette.»
Babette erwiderte: «Ich gehe nicht nach Paris.»
«Du gehst nicht nach Paris zurück?» rief Martine erstaunt.
«Nein», sagte Babette. «Was soll ich in Paris?
Sie sind alle fort, ich habe alle verloren, Mesdames.»
Die Schwestern erinnerten sich, welches Schicksal Monsieur Hersant und sein Sohn erlitten hatten, und sagten: «Ach ja, Babette, du Arme!»
«Alle sind sie fort», sagte Babette. «Der Herzog von Morny, der Herzog Decazes, der Fürst Naryschkin, der General Galliffet, Aurélien Scholl, Paul Daru, die Fürstin Pauline! Alle fort!»
Die fremden Namen und Titel von Menschen, deren Verlust Babette beklagte, versetzten die beiden Damen in eine gewisse Verwirrung; doch sprach aus der Aufzählung ein solches Übermaß von tragischen Verwicklungen und Perspektiven, daß sie in ihrem Mitgefühl Babettes Verlust als ihren eigenen empfanden und ihre Augen sich mit Tränen füllten.
Nach einem weiteren langen Schweigen lächelte Babette plötzlich ein wenig und sagte: «Außerdem, wie soll ich denn nach Paris zurückfahren, Mesdames? Ich habe kein Geld.»
«Kein Geld?» riefen die Schwestern wie aus einem Munde.
«Nein», sagte Babette.
«Aber die zehntausend Francs?» fragten die Schwestern, vor Schrecken atemlos.
«Die zehntausend Francs sind ausgegeben, Mesdames», sagte Babette.
Die Schwestern mußten sich setzen. Eine Minute lang verschlug es ihnen die Rede.
«Aber zehntausend Francs?» begann Martine schließlich mit einer Flüsterstimme.
«Was wollen Sie, Mesdames», sagte Babette, und viel Würde sprach aus ihren Worten.
«Ein Diner für zwölf Personen im Café Anglais, das hat immer seine zehntausend Francs gekostet.»
Den Damen fiel immer noch nichts zu sagen ein. Was ihnen da eröffnet worden war, entzog sich ihrem Verständnis. Aber schließlich waren viele Dinge am heutigen Abend auf die eine oder andere Weise über ihr Verständnis hinausgegangen.
Martine besann sich auf eine Geschichte, die ein Freund ihres Vaters aus seiner Missionarszeit in Afrika erzählt hatte. Er hatte der Lieblingsfrau eines alten Stammeshäuptlings das Leben gerettet, und zum Zeichen seiner Dankbarkeit hatte ihn der Häuptling mit einem üppigen Essen regaliert. Erst lange Zeit später erfuhr der Missionar von seinem schwarzen Diener, was er dort gespeist hatte, war ein gut durchwachsenes kleines Enkelkind des Häuptlings gewesen, zubereitet zu Ehren des großen christlichen Medizinmannes. Martine schauderte.
Philippa aber fühlte sich bis ins tiefste Herz gerührt. Sie hatte das Empfinden, daß hier ein unvergeßlicher Abend seine Krönung erfahren sollte in einem unvergeßlichen Beispiel menschlicher Treue und Selbstaufopferung.
«Liebe Babette», sagte sie freundlich, «das hättest du aber nicht tun sollen: unsertwegen alles hergeben.»
Babette warf der Herrin einen tiefen Blick zu, einen seltsamen Blick – lag nicht Mitleid, vielleicht sogar Verachtung, auf seinem Grunde?
«Ihretwegen?» versetzte sie. «Nein. Meinetwegen.»
Sie erhob sich vom Hackklotz und stellte sich den Schwestern gegenüber.
«Ich bin eine große Künstlerin!» sagte sie.
Sie wartete einen Augenblick und wiederholte: «Ich bin eine große Künstlerin, Mesdames.»
Von neuem breitete sich für längere Zeit ein tiefes Schweigen in der Küche aus. Dann sagte Martine: «Also bleibst du nun arm fürs ganze Leben, Babette?»
«Arm?» sagte Babette. Sie lächelte wie zu sich selbst.
«Nein. Arm bin ich nie. Ich habe Ihnen gesagt, ich bin eine große Künstlerin. Eine große Künstlerin, Mesdames, ist niemals arm.
Wir haben etwas, Mesdames, wovon andere Leute nichts wissen.»
Während die ältere Schwester darauf nichts mehr zu sagen wußte, begannen in Philippas Herz tiefe, vergessene Saiten zu vibrieren. Sie hatte schon einmal gehört, lang lang war’s her, von diesem Café Anglais. Sie hatte schon einmal, vor langer Zeit, Babettes tragische Namensliste vernommen. Sie stand auf und trat einen Schritt auf die Dienerin zu.
«Aber alle diese Leute, die du da erwähnst», sagte sie, «diese Fürsten und hohen Herrschaften aus Paris, Babette – gegen die hast du doch gekämpft! Du warst doch Kommunarde. Der General, von dem du sprichst, hat deinen Mann und deinen Sohn erschießen lassen. Wie kannst du diesen Leuten nachtrauern?»
Babette kehrte Philippa ihren dunklen Blick entgegen.
«Ja», sagte sie, «ich war Kommunarde! Gott sei Dank war ich
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