Baby-Bingo
tröstete. Wenn andere Frauen auch ihr Baby verlieren, kann es nicht nur an mir liegen. Trotzdem hatte ich enorme Schuldgefühle und ging gedanklich immer wieder die letzten Wochen durch. Hätte ich vielleicht doch mehr auf mich achten sollen? Hätte ich irgendetwas anders machen können, um unser Baby zu behalten?
Ich habe mich sehr in meine eigene Welt zurückgezogen, zu der eigentlich nur Marie Zugang hatte. Es gibt Situationen im Leben, da fühlt man sich manchmal der besten Freundin näher als dem eigenen Mann. Marie war einfühlsam, wusste, wie sie mit mir umzugehen hatte, und fand immer die richtigen Worte. Sie war mir in den letzten Monaten ein starker Halt. Martin bemühte sich, mir das Gefühl zu geben, dass ich nicht alleine war mit meinem Schmerz. Dass er mich immer lieben wird, auch ohne Kind. Manchmal denke ich, dass sein Wunsch nach einem Baby vielleicht gar nicht so stark ist wie meiner. Was mich merkwürdigerweise sogar erleichtert. Der Gedanke, einen Mann an meiner Seite zu haben, der noch zusätzlichen Druck aufbaut, wäre nicht auszuhalten.
»Wir führen doch auch ohne Kind ein glückliches Leben«, sagt er.
Und ich weiß nicht, ob er mich damit nur trösten will oder es wirklich so meint. Ja, sicher tun wir das, wir sind auch zu zweit glücklich. Wenn da nicht diese Sehnsucht in mir wäre.
Ich glaube, Männer gehen prinzipiell anders mit Verlust um als Frauen. Martin konzentrierte sich verstärkt auf seinen Job und machte extrem viel Sport. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht mindestens eine Stunde durch den Park rannte oder ins Fitnessstudio ging. Abends kam er oft sehr spät nach Hause. Manchmal sogar erst, wenn ich schon im Bett lag. Bis vor ungefähr zwei Wochen. Ich weiß nicht warum, aber seitdem habe ich das Gefühl, dass er wieder mehr die Nähe zu mir sucht. Na ja, wahrscheinlich hatte er genauso wie ich, einfach etwas Abstand gebraucht.
Im Gegensatz zu mir schaut er nach vorn. Und ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass ich ganz schnell wieder schwanger werde. Auch wenn wir dafür den nächsten Schritt unseres Masterplans gehen müssten:
Eine In-vitro-Fertilisation.
Ehrlich gesagt, war meine Meinung zu einer IVF-Behandlung immer sehr zwiegespalten. Einerseits ist es für mich nach wie vor ein enormes Wunder der Medizin, Eizellen außerhalb des Mutterleibs zu befruchten und danach als mehrzellige Embryonen in die Gebärmutter zu übertragen. Mit großem Erfolg. Immerhin sind seit dem ersten IVF-Baby 1978 bis heute weltweit mehr als vier Millionen Babys geboren worden. Andererseits frage ich mich, ob so eine Behandlung nicht ein zu starker Eingriff in die Natur ist. Wie weit möchten wir persönlich für ein Kind gehen?
Martin denkt da anders:
»Ein Schwerkranker wird ja auch mit Medikamenten unterstützt, damit er wieder gesund wird und weiterlebt«, sagt er. »Wenn die Medizin heutzutage über derartige Mittel verfügt, sollte man sie auch nutzen. Was hat es sonst für einen Vorteil, dass wir im 21. Jahrhundert leben und nicht mehr im Mittelalter, wo die durchschnittliche Lebenserwartung bei 30 Jahren lag und man schon an einer Lungenentzündung sterben konnte?«
Na ja, es ist doch leichter, ein Urteil zu fällen, wenn man nur theoretisch darüber nachdenkt. Ich hätte früher auch nie gedacht, dass ich jemals in die Situation kommen würde, mich mit künstlicher Befruchtung beschäftigen zu müssen. Aber damals hatte ich auch noch nicht mein Baby verloren und bewegte mich nicht mit der Geschwindigkeit eines ICE auf die 40 zu. Die Hormonbehandlung, Eizellentnahme und Embryotransfer sind ja kein Spaziergang, sondern eine enorme Belastung für den Körper. Abgesehen von dem emotionalen Stress.
Aber was ist, wenn ich mir später vorwerfe, nicht alles versucht zu haben? Wenn ich es mit 50 bereue, nicht auch noch diesen speziellen Weg gegangen zu sein?
Auslöser für unsere Entscheidung ist schließlich ein Gespräch mit Frau Doktor Steinberger.
»Ob Sie sich für eine IVF entschließen, ist eine Entscheidung, die letztendlich nur Sie beide treffen können«, sagt sie. »Aber Sie müssen wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, ab dem 40. Lebensalter extrem sinkt. Ein Beispiel: Bis zum Alter von 25 Jahren liegt die Chance, während eines Monatszyklus’ schwanger zu werden, bei etwa 30 Prozent. Ab 35 halbieren sich die Chancen und ab 40 Jahren liegen sie nur noch bei etwa zehn Prozent. Tendenz weiter abnehmend.«
Ich schlucke. Und
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