Baby-Bingo
nicht stolz darauf sein kann, Carla gerade in der schwierigsten Phase unserer Beziehung zu hintergehen. Ich würde mir umgekehrt auch nicht wünschen, dass ihre Weihnachtsfeier so endet. Wie auch immer, es ist passiert, nun lässt sich sowieso nichts mehr ändern.
An mir haftet noch Renas Parfüm, das vermutlich nur 26-Jährige tragen können. Und das man auch nur an 26-Jährigen er tragen kann. Es ist süß und sehr präsent, passt also ideal zu ihr.
Ich muss diesen Duft unauffällig loskriegen, wenn ich nach Hause komme. Am besten noch duschen, ohne dass Carla das mitkriegt.
»Wie war’s gestern?«, fragt Carla am nächsten Morgen beiläufig.
»Ach, wie immer.«
»Wann bist du denn zurückgekommen? Ich hab so tief geschlafen, dass ich dich gar nicht gehört habe.«
Sie sagt das scheinbar arglos. Nein, es scheint keine Falle zu sein.
»Hm, dürfte wohl gegen zwei gewesen sein.«
Die nächste Lüge, denn es war bereits deutlich nach vier Uhr. Aber mit der Vorverlegung meiner Rückkunft lasse ich erst gar keinen Verdacht aufkommen, dass ich nicht direkt von der Weihnachtsfeier nach Hause gefahren sein könnte.
»Na, wenn du so lange durchgehalten hast, war die Party doch sicher nicht so übel«, sagt Carla.
Damit ist für sie das Thema erledigt. Für mich auch. Und das kann es meinetwegen gerne bleiben. Denn ich hoffe sehr, dass Rena unser kleines Geheimnis für sich behält, dass da nichts, wirklich gar nichts zu Carla durchdringt. Wie ich aber Rena einschätze, folgte sie gestern ebenfalls einer spontanen Laune. Es war auch für sie eine One-Night-Intensivknutscherei. Ein Pilotfilm, aus dem keine Serie werden muss. Und wer weiß, ob Rena sich heute beim Aufwachen überhaupt noch an Details erinnert.
So bescheuert das auch klingen mag, die zurückliegende Nacht hat mich letztlich nicht Rena, sondern Carla nähergebracht. Klar, mit solchen Begründungen versuchen sich viele Männer zu rechtfertigen, die Mist gebaut haben. Mein innerer Dialog klingt wirklich so abgedroschen wie die Standardentschuldigungen der Fieslinge in diesen Rosamunde-Pilcher-Filmen im Fernsehen, bei denen ich Carla manchmal am Sonntagabend ertappe.
Es war eine verrückte Nacht mit Rena. Aber man darf sich da nichts vormachen, auch wenn es schmeichelhaft sein mag. Seitdem die Sonne aufgegangen ist, liegen zwischen ihr und mir wieder Welten.
Die Frau, mit der ich leben möchte, ist Carla. Definitiv! Aber meine lebenslustige, optimistische Carla, wie ich sie von früher kenne. Die möchte ich wiederhaben. Die müssen wir wieder zum Vorschein bringen.
Und dafür werde ich von meiner Seite aus wirklich alles tun.
Carla
Der Eingriff
»Und du denkst, das ist wirklich okay für dich?«, fragt Marie.
»Ja, klar, das geht schon. Ich meine, ich kann mich ja jetzt nicht für die nächsten Jahre ins Seniorenheim zurückziehen, nur damit ich keine Schwangeren und Kinder mehr sehe.«
»Aber Vanessa, Michaels Schwester kommt mit ihrem drei Monate alten Baby. Wird bestimmt nicht einfach für dich.«
»Keine Angst, ich werde die Kleine schon nicht kidnappen.«
Marie ist am Telefon. Paula wird in zwei Wochen getauft, und ich soll Patentante sein. Was mich natürlich freut. Obwohl Patentante ja so eine Sache ist. Ich habe bereits zwei Patenkinder. Eines habe ich seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, seit seine Mutter, eine Schulfreundin von mir, nach Australien ausgewandert ist. Und das zweite, der Sohn meiner Cousine, meldet sich bei mir nur, wenn es Geschenke abgreifen möchte. Meine Erfahrungen als Patentante sind also steigerungsfähig. Aber bei Maries Tochter Paula ist das natürlich was ganz anderes. Schließlich liebe ich sie wie eine eigene Tochter. Wenigstens ein Kind, an dem ich meine Muttergefühle voll ausleben kann.
Die letzten Monate waren nicht leicht für mich gewesen. Nach dem ich unser Baby verloren hatte, fiel ich in ein tiefes Loch. Ach, was heißt Loch: Ich fiel in einen Abgrund, ungefähr so tief wie der Grand Canyon. Ich war traurig. So traurig wie noch nie in meinem Leben. Abgesehen von dem Moment, als mein Vater starb. Ein Verlust von einem Menschen ist immer schlimm, auch wenn er nur die Größe einer Erdbeere hat.
Aber wenn dein Vater stirbt, dann stirbt deine Kindheit. Deine Vergangenheit. Mit deinem Kind stirbt deine Zukunft.
Ich war erstaunt, wie häufig ich in letzter Zeit dann doch immer wieder von Frauen hörte, die das Gleiche durchgemacht haben. Und ich muss zugeben, dass mich dieses Wissen etwas
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