Baby-Bingo
durchaus bewusst.
Nun dreht sie mir ihren Rücken zu und schmiegt sich in dieser Position an mich.
»Herr Moretti, hatten Sie nicht die Möglichkeit zurückzuweichen und sich dadurch dem Druck zu entziehen?« Das würde wohl jeder Scheidungsanwalt fragen.
Nun, es ist eng auf der Tanzfläche. Sehr eng. Doch zugegeben, ich hätte diese Möglichkeit. Und nütze sie nicht. Im Gegenteil. Auch ich erwidere die Berührung, meine Hände verselbstständigen sich und greifen an ihre Hüften.
Rena dreht ihren Kopf über die Schulter und guckt mir mit einem Röntgenblick direkt in die Augen. Sehr lange.
Hier läuft gerade was ziemlich heftig aus dem Ruder. Gut, von außen gesehen sind wir immer noch Arbeitskollegen, die besonders gut drauf sind, ihren Spaß haben und exzessiv tanzen.
Ja, exzessiv. Ich ertappe mich dabei, dass ich mit Rena anders tanze als mit Carla. Was hat mir das zu sagen? Strenge ich mich beim Tanzen mit Rena mehr an als mit meiner Frau?
Ich hielt mich, seit ich mit Carla zusammen bin, ungefähr so verführbar wie ein Haremswächter. Was daran liegen mag, dass ich davor reichlich Zeit hatte, mich auszutoben, meine Erfahrungen zu machen. Das Neue und Spannende in meinem Verhältnis zu Frauen war irgendwann nicht mehr der ständige Wechsel, sondern die Beständigkeit. Und Carla hatte von Anfang an auf all meine Bedürfnisse, Wünsche und Träume eine befriedigende Antwort.
Selbst die schwierige Zeit mit den monatlichen Enttäuschungen, seit sie an ihrem 38. Geburtstag den Kinderwunsch outete und aktiv anging, brachte unsere Beziehung nie ernsthaft in Gefahr. Wir hatten Krisen, ja eine heftige sogar. Aber wir waren und blieben ein Team. Ein gutes Team. Alles, was ich wollte, war Carla. Eine glückliche Carla an meiner Seite!
Dann wurde sie schwanger. Und verlor ihr Kind. Unser Kind. Seitdem ist alles anders.
Die Fehlschläge vorher kommunizierte sie nach außen. Sie sprach mit mir darüber, mit Marie, mit anderen Freundinnen, seit dem offenen Gespräch mit ihrer Mutter am Timmendorfer Strand auch mit ihr. Und das war wohl gut so. Denn es war ihr Weg, all die Enttäuschungen zu verarbeiten, es war eine Art Therapie.
Doch die Fehlgeburt ließ Carla mit einem Mal verstummen. Sie wurde erschreckend ernst, zog eine Mauer um sich. Sie lebt seither in einer Welt, zu der ich keinen Schlüssel mehr habe.
Ich werde nie den Moment vergessen, als ich sie damals nach der Fehlgeburt von der Klinik abholte. Meine lebenslustige und energiegeladene Carla, plötzlich so zerbrechlich und todtraurig. Es tat mir weh, sie so zu sehen. Natürlich habe ich versucht, sie zu trösten. Soweit mir das möglich war. Denn ich hatte das Gefühl, dass meine Worte sie nicht richtig erreichten. Dass ich damit ihre Tränen nicht trocknen konnte. Klar, wir sprachen darüber, wie es war. Aber es blieb eher ein Sachgespräch. Es gelang mir nicht, sie dazu zu bewegen, auch ihre Emotionen mit mir zu teilen. Der einzige Mensch, mit dem sie darüber sprach und spricht, ist Marie. Ich schnappte mal im Vorbeigehen, als die beiden telefonierten, einen Gesprächsfetzen auf, aus dem hervorging, dass Carla sich große Vorwürfe macht. Was ich nicht verstehen kann. Sie hat doch alles richtig gemacht. Hat wirklich alles getan, damit es dem werdenden Leben gut geht.
Auch diese Selbstvorwürfe sind etwas, das sie scheinbar nicht mit mir teilen will. Vielleicht auch nicht teilen kann. Zum ersten Mal, seit wir uns kennen, leben wir nebeneinander her. Wir gleichen den beiden Schienen eines Bahngleises. Wir sind uns weiterhin relativ nahe, konstant nahe, aber es gibt keine echte Verbindung.
Und Carla zeigt keine Initiative, das zu ändern. Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, dass sie unsere Beziehung infrage stellt. In einem der wenigen Gespräche, in denen Carla Ansätze von Emotionen zeigte, gab sie zu bedenken, ob es nicht ein deutliches Signal sei, dass wir kein Kind bekommen können. Ein Signal, dass wir eben doch nicht zusammenpassen, wenn auch unsere beiden biologischen Beiträge zur Entstehung eines neuen Lebens scheinbar nicht kompatibel sind. Es wirkt, als habe sie bereits resigniert, was unsere weitere gemeinsame Zukunft betrifft.
Ihre Kälte und Unerreichbarkeit sind viel schlimmer als die Tatsache, dass wir seit der Fehlgeburt vor drei Monaten nicht mehr miteinander geschlafen haben. Der Arzt hatte ihr damals dringend empfohlen, die ersten beiden Monate darauf zu verzichten.
Aber auch seitdem ist nichts passiert. Von Carla kam nicht der
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