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Babylons letzter Wächter (German Edition)

Babylons letzter Wächter (German Edition)

Titel: Babylons letzter Wächter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Reich
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wie sie jetzt reagieren würde. Sein halbes Sexualleben zog vor seinem inneren Auge vorbei, wie ein Film mit viel zu vielen Nahaufnahmen und dem Dunstgeruch ihrer überhitzten Körper. Doch Tanisha grinste.
    „Ich lebe für den Moment. Und im Moment haben wir sehr viel Spaß miteinander, nicht wahr?“
    „ Ja! Du sagst es.“
     
    *
     
    Tat er ihr denn so Unrecht? Statistiken zufolge gingen circa sechzig Prozent aller Ehepartner fremd. Wer wüsste das besser als ein Bürohengst wie er? Dass er nun auch dazu zählte, wiegte da nicht mehr so schlimm. Am Ende hatte die blöde Kuh sich das selbst zuzuschreiben. Ein eisiger Mantel legte sich über sein Denken. Erteilte ihm die Absolution. Kurbelte die Testosteronproduktion an.
    Die Wochen vergingen, und mit ihnen die Kundinnen. Mel hatte alle Grundsätze in den Wind geschossen, was den persönlichen Kontakt mit Kunden anging. Er lernte einen Vorteil aus seiner flinken Zunge zu schöpfen. Sein Verkaufstalent und seine Fertigkeiten als Mösenlecker. Im Park stiegen die Temperaturen und er wollte die Frauen lecken wie ein Eis. Beim ersten Mal hatte er noch so etwas wie Schuldgefühle verspürt… doch genauso wie die Liebe zu seiner Frau Barbara nachgelassen hatte, verwischten auch seine Schuldgefühle zur Bedeutungslosigkeit. Das Gesicht seiner Frau, dessen feine Züge in seinem Gedächtnis haften geblieben waren, und ihn anfangs zu kleinen Tagträumereien verleiteten, verblasste. Er vergaß, dass er an Treuegelübde je gebunden war.
     
     
    Mopsy
     
    Der Hund war der beste Freund des Menschen. So dachte auch Schmitt, als er sich die Schuhe zuband, um mit Mopsy Gassi zu gehen. Nach dem Tod seiner Frau hatte es wenig Freude gegeben in seinem Leben. Wenn man zwanzig war, schloss man leichtfertig den Bund fürs Leben. Niemand bereitete einen darauf vor, dass die Frau, die fünfzig Jahre lang neben einem einschlief, nicht mehr da sein würde. Sie hatte das große Rennen gewonnen. War egoistisch in die Zielgerade eingelaufen, ohne an ihn zu denken. Sprach der Igel: Bin schon da.
    Wenigstens hat sie nicht gelitten. Die Wege des Wächters sind unergründlich. Seine Freunde überschütteten ihn mit unnützen Ratschlägen. Helen war im Schlaf gestorben. Er hatte ihr nicht gute Nacht gewünscht. Alte Gewohnheiten fielen im Alter mehr und mehr der Vergesslichkeit an, wie eigentlich so alles. Deswegen plagten ihn schwere Schuldgefühle.
    Die Freunde hatte er auch verloren, wie ein Baum im Herbst seine Blätter verliert. Er allein war übrig geblieben. In einem Haus, das zu groß geworden war. Er erinnerte sich, wie er das Haus an der Herodes-Avenue gekauft hatte. Wie ein Handschuh aus Ziegenleder hatte es sich an das Leben seiner kleinen Familie geschmiegt. Ihnen Trost und Geborgenheit gespendet. Er, Helen und Jonathan. Jonathan verließ später das Haus und hinterließ eine Wunde, die niemals verheilte. Seine Frau fing an, Hummelfiguren zu sammeln und richtete Jonathans Zimmer als Gästezimmer her. Falls er mal in der Nähe war. Viele seiner alten Freunde lebten noch im Viertel, die er mit Sicherheit auch besuchte. Bloß bei seinen Eltern schaute er nie vorbei. Das Zimmer blieb für die nächsten Jahre unbewohnt, nur erfüllt von der Hoffnung auf Gesellschaft und den schönen Erinnerungen. Jonathan war an die Upside gezogen, um dem spießigen Leben der Vorstädte zu entkommen. So jedenfalls vermuteten sie. Oder lasen zwischen den Zeilen in den knappen Briefen, die er gelegentlich schrieb. Als auch an Weihnachten sein Platz am Tisch leer blieb, räumte Helen den Teller kommentarlos weg. Seitdem wurde nicht mehr über Jonathan gesprochen. Die Lücke in ihrem Haus reichte bis in ihren Alltag hinein, machte Schmitt und seine Helen füreinander stumm. Erst mit Helens Erkrankung fanden sie ihre Sprache wieder. Doch auch dann blieben sie sprachlos, denn der Krebs stand lähmend zwischen ihnen. Es gab nur die Stille zu beschreiben, die das Krankenzimmer füllte. Über manche Dinge wollte man nicht sprechen. Eine häusliche Pflegekraft kümmerte sich rührend um Helen. Leider war sie taubstumm. Schmitt verständigte sich per Handzeichen mit ihr. Wenn ein Anliegen zu kompliziert erschien, um es mit ein paar Gesten darzustellen, malte Schmitt ein Bild oder schrieb es ihr auf. Auf der Wäschekommode türmten sich die Briefchen, die er an die Krankenschwester richtete. Wenn Schmitt die Unmöglichkeit sich auszudrücken nicht mehr ertrug, machte er lange Spaziergänge. Er erinnerte sich an

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