Babylons letzter Wächter (German Edition)
er den Mantel öffnete. Unter dem er nackt war. Bis auf ein paar Hosenbeine, die in Gummibändern auf Kniehöhe mündeten wie behelfsmäßige Strapse. Wenn der Mantel geschlossen war, wirkte er angezogen. Taschenspielertricks. Tricks wie nix. Nix wie Wichs. Burt stellte ihr nach. Holte sie mit wenigen großen Schritten ein. Ein ungleicher Wettlauf. Große Schritte gegen kleine Schritte. Die eine Hand den Mund mit Stahlgriff verschlossen, die andere in der Manteltasche, den chloroformgetränkten Lappen, nun gegen den Stahlgriff getauscht, und sie sank vor ihm in die Knie, wie viele vor ihr. Burt ging zurück zur Parkbank, unter der eine große Sporttasche aus stabilem Nylongewebe lag. Die er vorher deponiert hatte. Wo das kleine Mädchen jetzt verschwand. Beim zuziehen des Reißverschlusses musste er kurz innehalten, um einen ihrer Zöpfe nicht einzuklemmen. Das Mädchen. Was keinen Namen hatte. Wie keine vor ihr und keine nach ihr.
*
Die Tasche lag schwer in seinen Händen. Die Kunst dabei war es, sie leicht wirken zu lassen. Die ächzenden Schultermuskeln zu ignorieren, und auszusehen wie ein echter Sportler nach dem Training. Den Chloroformlappen zu dem Mädchen zu legen. Eine Schlaufe war schon leicht eingerissen. Er würde sich nach dieser Aktion eine neue Tasche kaufen. Jetzt konnte er nur hoffen, dass sie noch einmal hielt.
Der wirklich heikle Teil kam noch. Drei U-Bahnstationen mit der Hand auf der Tasche den Puls des Mädchens fühlen. Manchmal wachten sie dabei auf. Dann würgte er sie durch das Nylon hindurch. Wenn ein Reisender ihn fragte, erzählte er die Geschichte von seinem Hund, der Angst vor dem Tierarzt hatte. Er liebte es, wenn ihm das Adrenalin durch die Blutbahn schoss. Wie ein Liebhaber, der unter dem Restauranttisch die Möse seiner Frau kraulte. Die mögliche Gefahr, erwischt zu werden, erregte ihn noch mehr.
*
Die Nacht brach über Babylon herein und die Lichter gingen an. Fast mochte man sich am Polarkreis glauben, wo es auch niemals richtig dunkelte, denn die Neonröhren des freien Kapitalismus tauchten alles in ihr unechtes Zwielicht. Ein Licht, was Menschen veränderte. Man tauchte in den Scheinkegel einer dieser Reklamen, wie ein Reh vor ein Zwillingspaar Scheinwerfer, und wie gelähmt sah man, wie seine Haut gelb wurde wie bei Krankheit, eine Säure, die sich durch seinen Blutkreislauf fraß…
In dieser Korona sah das kleine Mädchen Burt, der keuchend über ihr lag, sie dabei immer wieder schlug, dass ihr linkes Auge bereits so angeschwollen war, dass es zu einem kümmerlichen Schlitz verengt war. Zwischen de n einen brannte es wie Feuer. Gefesselt an Armen und Beinen war sie auf einer schmuddeligen Matratze im Keller aufgewacht. Burt verwendete einen Lichtwechsler mit Filterscheiben, der gerade auf rot umsprang, rot wie in einem Photolabor, wie der Schmerz, wie die Scham. Der rote Mond war aufgegangen. Als Burt die Finger in ihre Augen krallte, nahm das Rot die Welt ein. Weiße Blitze zogen auf wie Gewitter. Als ihre Augäpfel rissen und gallertartige Masse austrat, verschwanden auch die Blitze.
„ Ja du Flittchen, jaha!“
In der Dunkelheit blieben ihr nur der Schmerz und die Angst. Als er sich von ihr herunterwälzte. Und dann polternde Geräusche, als er etwas suchte. Geschmack von Metall in ihrem Mund. Ihr keuchender Atem, der sie in die Lungen stach. Und dann das Messer, was sie überall stach.
“ Daisy, Daisy,
Give me your answer due.
I'm half crazy,
all for the love of you.
It won't be a stylish marriage.
I can't afford a carriage.
But you'll look sweet,
upon the seat,
of a bicycle built for two.”
Burt sang aus vollem Hals, allein in der Stille seines Kellers.
Roulette und Nadelstreifen
In der neununddreißigsten Straße drängten sich die Glücksspieler wie Tauben um die Brotkrumen, ein jeder in seiner unermesslichen Gier, ohne Rücksicht auf seine Artgenossen. Die Niederlassungen der Supermärkte hatten schon vor einem Block aufgehört. Weiter trauten sie sich nicht vor. Weil hier ein anderer Handel florierte. Wenn man nicht aufpasste, und in eine der dunklen Seitengassen geriet, verabschiedete sich auch das Tageslicht und die Nutten traten hervor. Hier war der bunte Jahrmarkt der finsteren Gedanken. Man konnte seine Seele verkaufen und gegen einen falschen Pass oder eine neue Identität eintauschen. Eine Frage des Preises. Keine der Waren trug ein Schild. Der Wert einer Sache hing vom Begehren des
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