BACCARA EXKLUSIV, BAND 64
Sie bestand aus über fünfzig Hektar Land, einem alten und inzwischen ziemlich heruntergekommenen viktorianischen Haus und einem Teich, in dem sie im Sommer geangelt und gebadet hatten und auf dem sie im Winter Schlittschuh gelaufen waren. „Doch, ich bin dorthin zurückgezogen.“
„Es ist viel zu weit und zu kalt, um den ganzen Weg mit dem Fahrrad zu fahren. Ich werde dich hinbringen. Ich habe am Flughafen einen Wagen gemietet.“
Katie hielt es nicht länger aus, mit ihm zu reden. Was war bloß aus ihrem Freund geworden? Aus dem freundlichen, warmherzigen und witzigen Kerl, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte?
Am Redaktionsgebäude blieb sie vor dem Fahrradständer stehen. Ihr Rad war nicht abgeschlossen, weil das in Newport Falls nicht nötig war. „Danke für das Essen“, sagte sie. Sie spürte einen Regentropfen, dann noch einen. Egal, sie war das Radfahren bei jedem Wetter gewohnt.
Jack hielt ihre Hand fest. „Du kannst die Welt nicht retten, Devonworth.“
„Ich habe auch gar nicht die Absicht, die Welt zu retten, Reilly. Nur Newport Falls.“
Er zog sie zu sich heran. „So kann ich dich nicht gehen lassen.“
„Warum nicht?“, fragte sie mit pochendem Herzen.
„Weil“, antwortete er, ließ ihre Hand los und deutete zum Himmel hinauf, „es regnet.“
Sie zog die Turnschuhe aus ihrem Rucksack. „Früher bist du ständig im Regen Rad gefahren“, erinnerte sie ihn, während sie auf dem Gehsteig die Schuhe wechselte. „Oder hast du das auch schon vergessen?“ Als sie fertig war, verstaute sie ihre Pumps in der Tasche und setzte sich so anmutig wie möglich auf das Fahrrad. „Dann bis morgen.“
Jack ging mit drei Sträußen roter Rosen durch den Torbogen des Friedhofs. Die Temperatur war spürbar gesunken, und der Regen hatte sich in Schnee verwandelt, der bereits einige Zentimeter hoch lag. Jack schaute sich um und betrachtete die vertraute Landschaft. Der Friedhof schien der einzige Ort in Newport Falls zu sein, der noch genauso war wie in seiner Erinnerung. Schön, aber trostlos.
Er ging an kahlen Rosenbüschen vorbei zum Grab seines Vaters. Nicht nur dessen Tod machte ihn traurig, auch sein Leben. Solange er denken konnte, war sein Vater Alkoholiker gewesen, sein Leben eine Kette verpasster Chancen.
Jacks Vater hatte sich nie vom Verlust der Frau, die er so liebte, erholt. Anfangs hatte er es versucht, indem er das College schmiss und nach Newport Falls zurückkehrte. Doch selbst alte Freunde konnten ihm über die Schuldgefühle nicht hinweghelfen. Getrieben von unsichtbaren Dämonen fand er nur im Alkohol Trost. Jack konnte sich nicht daran erinnern, wann sein Vater jemals Arbeit gehabt hätte. Ebenso wenig konnte er sich daran erinnern, dass sein Vater ihm gegenüber jemals Zärtlichkeit gezeigt hätte. Jack war schnell erwachsen geworden, weil er nicht nur für sich selbst, sondern oft auch für seinen Vater sorgen musste. Er war entschlossen gewesen, mehr aus seinem Leben zu machen als sein Vater. Die Stadt sollte stolz auf ihn sein. Er würde sich nicht durch die Liebe zu Grunde richten lassen. Doch es schien, je verzweifelter er zu entkommen versuchte, desto wütender suchte ihn das Schicksal heim.
Als Katie Matt heiratete, hatte er, Jack, sich nicht in den Alkohol, sondern in die Arbeit geflüchtet. Er ging nach Yale und machte sein Diplom in Betriebswirtschaft. Er war bereit, länger und härter als jeder andere zu arbeiten. Und seine Entschlossenheit zahlte sich aus.
Jack wünschte, er hätte seinen Vater besser gekannt. Er wünschte, er könnte mit ihm sprechen und ihm sagen, dass er dessen Kummer heute verstand und auch, weshalb sein Vater sich von der Welt zurückgezogen hatte. Weshalb er sich von seinem einzigen Kind zurückgezogen hatte.
Jack legte einen Strauß Rosen auf das Grab, richtete sich wieder auf und klopfte sich den Schnee von der Hose. Dann ging er zu der alten Eiche, unter der die Devonworths begraben lagen.
Zuerst hatte er Mühe, ihr Grab zu finden. Der Schnee fiel jetzt dichter und klebte in dicken, weißen Klumpen am Boden. Doch er ließ nicht locker und wischte ihn von den Grabsteinen, bis er es gefunden hatte.
Jack legte die Rosen ab und fühlte Trauer in sich aufsteigen. Die Devonworths hatten immer zu ihm gestanden. Ganz gleich, was zu Hause geschah, er konnte sich stets auf ihre Unterstützung verlassen. Sie hatten ihn zum Essen und während der Feiertage in ihrem Zuhause willkommen geheißen und ihm immer Liebe und Respekt
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