Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
erzählte dann meist zwei Geschichten: wie Amy als Kleinkind einmal fast an einem Stückchen Zellophan erstickt wäre und wie Amy
sich kurz vor ihrer Einschulung auf der »Osidge Primary School«, mit nicht einmal fünf Jahren, während eines Familienausflugs versteckte, um aus einer sicheren Deckung heraus genüsslich ihre Eltern dabei zu beobachten, wie die sie mit zunehmender Verzweiflung suchten. Die dritte Geschichte, die Janis Winehouse dann im Jahre 2007 in einem Interview mit der »Daily Mail« preisgab, war jedoch von einem anderen Kaliber: Sie passierte im Jahre 1998, gerade als Amys zweites Jahr an der privaten »Sylvia Young Theatre School« im Londoner Stadtteil Marylebone (mit einer für sie erstaunlichen Freude und Begeisterung) beginnen sollte. Bis heute wird jedes Jahr nur eine sehr kleine Anzahl von Schülern in dieser renommierten Talentschmiede aufgenommen, und das Aufnahmeverfahren ist dementsprechend streng: Die Bewerber werden nicht nur auf ihre musikalischen und darstellerischen Fähigkeiten hin geprüft, sondern müssen auch mindestens gute Leistungen in den normalen Schulfächern vorweisen, da die »Sylvia Young« großen Wert auf eine breit gefächerte Bildung legt. Darüber hinaus kostete ein Semester schon damals rund 2000 Pfund, das sich in Schritten auf 3000 Pfund erhöhte. Es wurden nur sehr wenige Stipendien vergeben. Amy, wer wollte ernstlich daran zweifeln, gewann eines davon. Natürlich gewann sie.
Doch dann wurde ihre Mutter eines Tages überraschend in die Schule zitiert.
»Der Direktor der Schule legte mir nahe, dass ich Amy von der Schule nehmen sollte«, erzählte Janis, »denn er wollte keine Kinder mit einem schlechten Notendurchschnitt an seiner Schule. Und bei Amy, meinte er, sähe es leider ganz danach aus. Sie sei zwar sehr klug, würde aber
ständig herumbummeln und wäre unkonzentriert, nie bei der Sache. Am selben Tag musste ich auch unsere Katze zum Tierarzt bringen. Ich habe sie in der Praxis abgesetzt, bin zur Schule gehetzt und danach wieder zum Tierarzt. Die Katze musste eingeschläfert werden. Ich habe mir immer gesagt: ›Ich hätte vielleicht Amy einschläfern und die Katze am Leben lassen sollen‹«.
Das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, und wahrscheinlich hatte Janis Winehouse auch nur versucht, einen bitter-ironischen Witz zu machen. Denn zum Zeitpunkt des Interviews 2007 hatte sie, wie der gesamte Rest der Familie (aber auch Freunde und nicht zuletzt auch Amys Management und Begleitmusiker), bereits eine jahrelange, nervenaufreibende Zeit mit der Unbezähmbaren hinter sich. Eine Zeit voller Sorgen und Angst um den alkohol- und drogenabhängigen Superstar, der, entsetzlich abgemagert inzwischen häufiger einfach zusammenklappte – mal mit Schaum vor dem Mund, mal mit zuckenden Gliedern; im Studio, auf Konzertbühnen oder sonst wo. Diese Gefahr bestand latent immer und überall. Amys Krankenakte hatte bereits einen lebensbedrohlichen Umfang erreicht, und nicht nur Janis bekam jedes Mal einen Schreck, wenn das Telefon klingelte, da man inzwischen 24 Stunden am Tag mit einer Hiobsbotschaft rechnen musste.
Sicherlich liebte Janis Winehouse ihre Tochter, dennoch wird sie von verschiedenen Menschen aus dem engeren Familienumfeld als relativ neutrale, ja etwas »unterkühlte« Person geschildert, die anscheinend Schwierigkeiten hatte, Gefühle zuzulassen und mütterliche Wärme und Geborgenheit zu schenken. Als Amy im Alter von 15
Jahren ihre erste richtige sexuelle Erfahrung machte und der Junge, der sie entjungfert hatte, sie danach ausgesprochen mies behandelte, hatte Janis ihrer Tochter lediglich geraten, zukünftig besser aufzupassen und die Pille zu nehmen. Die Journalistin Daphne Barak notierte in ihrem Tagebuch, das sie über die gesamten Dreharbeiten hinweg führte, Janis Winehouse habe auf sie »abwesend gewirkt, wenn sie über Amys Kindheit und Jugend sowie über die gesamte Familiensituation sprach«.
Doch lange bevor Amy an der renommierten »Sylvia Young Theatre School« aufgenommen und dann von ihr verwiesen wurde, wurde sie mit vier Jahren zunächst in die normale wie angesehene »Osidge Primary School« in Southgate eingeschult. Ihre Eltern konnten damals nicht ahnen, dass dies der Beginn eines ziemlich langen schulischen Horrortrips sein würde. Denn Stillsitzen, Aufpassen und sich am Unterricht zu beteiligen war nicht Amys Ding.
Die »Osidge« hatte ihr Credo in Stein gemeißelt, »Kinder als Individuen zu betrachten, die
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