Back to Black - Amy Winehouse und ihr viel zu kurzes Leben
großgeschrieben. Amys Vater Mitch hatte eine sehr gute Stimme. Im Grunde war er ein Halbprofi, der jeden Frank-Sinatra-Sing-alike-Contest mit Sicherheit für sich entschieden hätte – vielleicht auch einen Tony-Bennett-Wettbewerb. Auf jeden Fall steuerte Amys Vater eines der musikalischsten Taxis durch Londons Straßen. Das Radio dudelte immer, und wenn er das Drei-Zimmer-Haus im viktorianischen Stil betrat, trällerte er seiner kleinen Tochter zur Begrüßung am liebsten die großen Erfolge seiner Idole vor.
Als Amy älter wurde, dachte Mitch sich ein Spiel aus: Er begann zu singen – zum Beispiel »I only have eyes for you« – und stoppte dann kurz, um Amy die Chance zu geben mit einzustimmen oder aber alleine weiterzusingen.
Im Auto ihrer Mutter (deren Brüder allesamt professionelle Jazzmusiker waren, allen voran Leon Seaton, der Horn in verschiedenen Bands und Orchestern spielte)
hörte Amy dagegen ein Kontrastprogramm: vor allem die amerikanische Singer-Songwriterin Carol King, für die Janis sich geradezu begeistern konnte.
Amy wuchs mit einem Klangteppich aus Jazz, Blues, Swing und Soul auf. Dass sie selbst eine großartige Stimme hatte und dabei auch noch eine ziemlich ausdrucksstarke kleine Persönlichkeit war, die man eigentlich hätte fördern müssen, fiel zu diesem frühen Zeitpunkt nur einem Familienmitglied auf: ihrer Großmutter Cynthia, die ihre Enkelin dazu aufforderte, einmal pro Woche den Unterricht an der »Susi Earnshaw Theatre School« zu besuchen. Zu jedermanns Überraschung ging Amy dort gerne hin und brachte daher wenig später auch die besten Voraussetzungen für ihre erfolgreiche Aufnahmeprüfung an der »Sylvia Young« mit (die sie jedoch erst ab dem 14. Lebensjahr besuchen durfte). Cynthias Intuition und ihre Ahnung, dass aus ihrer Enkelin »vielleicht mal etwas Großes werden« könnte, bewahrheitete sich langsam, aber sicher.
Das intensive musikalische Vorleben ihrer Eltern hatte wiederum zur Folge, dass Amy einen für ihr Alter bemerkenswerten, eigenen Musikgeschmack entwickeln konnte. Darüber hinaus spürte sie, dass diese Musik im Gegensatz zu den meisten aktuellen Songs in den Hitparaden starke Gefühle in ihr auslösten.
Auch Nick Godwyn war überrascht, als er sie mit 16 Jahren kennenlernte und einen kichernden Teenie erlebte, der allerdings ganz genau wusste, in welche Richtung sein musikalischer Zug abfahren sollte.
»Zu ihren Vorbildern gehörten Dinah Washington, Billie Holiday, Frank Sinatra, Carole King’s Album ›Tapestry‹ und James Taylor«, erinnerte sich Godwyn, »und das war
alles andere als normal. Das waren nicht die Songs, die Mädchen in ihrem Alter für gewöhnlich hörten. Und sie hatte sie alle drauf.«
»Mitch und Amy sangen immer zusammen«, bestätigte Janis Winehouse dies in ihrer ruhigen, distanzierten Art. »Ja, sie waren sehr eng miteinander verbunden.«
Amy und ihr Bruder Alex wohnten zu der Zeit schon mehrere Jahre mit ihrer Mutter in East Finchley, wohin die Restfamilie nach der Trennung von Janis und Mitch im Jahre 1992 gezogen war.
Dieser Einschnitt im Leben der zum Zeitpunkt der Trennung neunjährigen Amy sollte gravierende Folgen haben. Folgen für ihr ganzes Leben. Denn sie war immer »Daddy’s Girl« gewesen.
»Es gab keine großen Szenen. Wir haben uns nie gestritten. Wir führten eine sehr angenehme Ehe, aber Mitch war halt selten daheim. Außerdem war da auch noch diese andere Frau – Jane – die seine zweite Frau werden sollte. Ich denke, Mitch hätte es gefallen, uns beide zu behalten. Aber da habe ich nicht mitgemacht«, erzählte Amys Mutter der »Daily Mail« im Jahre 2007.
Drei Jahre nach der Trennung – Amy war jetzt zwölf Jahre alt – wurde die Ehe ihrer Eltern rechtskräftig geschieden, und Mitch heiratete kurz danach tatsächlich zum zweiten Mal. Jane, seine neue Frau, hatte einst in dem Unternehmen für Isolierverglasungen als Vertriebssekretärin gearbeitet, in der er als Vertreter tätig gewesen war. Daher hält sich auch hartnäckig das Gerücht, dass Mitch und Jane viele Jahre lang eine heimliche Beziehung gepflegt hätten.
Dem »Rolling Stone Magazine« gegenüber bemerkte Amy, fast beiläufig, dass sie sich mit neun Jahren erstmals geritzt hätte. Denn dass ihr Vater jetzt nicht mehr bei ihr, sondern mit einer anderen Frau lebte, ließ sie zunächst ratlos zurück. Bald verzweifelte sie jedoch zusehends, das allerdings stumm, lediglich die krakeelende Maske des aufmüpfigen, pubertierenden
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