Backstage
Weiberchen. Nicht dumm, nicht zu dick auftragen. Wir müssen dranbleiben. Er hat auch Panitz überwachen lassen, erinnere dich. Das scheint seine Art, sich Informationen zu verschaffen und hat nichts mit dir persönlich zu tun. Nimm es als Übung, die dir das Leben schickt.»
«Och, Paula. Nicht heute. Und noch dazu hier aufm Friedhof. Keinen Esoterikkram, bitte.»
Paula breitete die Arme aus.
«Schon gut.»
Schweigen.
Melissa stand auf, ging umher, auf und ab, setzte sich wieder. «Du hast Recht, Paula, ich bleib Reimann an den Fersen. Und Braun. Du hast schließlich genug zu tun mit Lilli und Teichert.»
«Und Panitz' Wohnung. Ich werde mich als Sekretärin ausgeben, die des Immobilienbüros. Panitz war so zurückhaltend mit seinem Privatleben, dass wahrscheinlich kein Nachbar die Sekretärin je zu Gesicht bekam. Dich halten wir raus,aus diesem Spiel, falls Presse auftaucht, wer weiß, ob du nicht doch schon fotografiert wurdest, sie über dich berichten, wenn alles andere ausgereizt ist. Im Moment stürzen sie sich nicht auf Panitz, sondern konzentrieren sich auf den Star, den Freund des Opfers. Panitz' Tod ist nur die Zugabe, im Mittelpunkt steht Braun, und das wird noch schlimmer, wenn morgen die Fotos aus Amsterdam in der deutschen Presse erscheinen.»
Fichte und Hegel. Heinrich Mann und Anna Seghers.
«Panitz hat also ein verschreibungspflichtiges Schmerzmittel eingenommen?», fragte Melissa.
«Auf Morphinbasis. Ich weiß nicht, ob dauerhaft oder einmalig, ob als Droge oder weil er krank war oder schlicht so etwas wie Zahnschmerzen hatte. Darüber lass uns nicht spekulieren, sondern den ausführlichen Bericht abwarten, vermutlich bekomme ich eine Kopie.»
Schweigen. Ein gutes, jetzt.
«Etwas ist mir aufgefallen und etwas wieder eingefallen. Evelyn Kunz erwähnte, dass Tom immer die Unterstützung von Panitz und Lilli hatte. Als ich fragte, ob sie auf die Heidelberger Zeit anspiele, druckste sie. Vorhin fiel mir ein Wort von Reimann ein: fluchtartig. Er sagte, dass Braun und Panitz fluchtartig ihr Heimatdorf verließen. Tom war sechzehn, also war die Flucht 1977. Wir sollten herausfinden, welche Zeitung in dieser Gegend damals erschienen ist, und recherchieren, ob die Namen Panitz und Braun auftauchen. Vielleicht sind die Zeitungsausgaben mittlerweile auf Mikrofilme abgespeichert.»
«Guuut», nickte Paula anerkennend. «Gut. Und du zweifelst an dir? Ich nicht. Sieh mich nicht so an, ich kenne dich schon ein paar Jahre.»
Sie beugte sich vor und küsste Melissa auf die Wange.
«Gut. Ich statte Panitz' Wohnung einen Besuch ab, wir müssen wissen, wie er lebte, ob er Freunde, Familie hatte. Außerdem werde ich Lilli zu den Amsterdam-Fotos befragen und, wenn du fündig wirst, auch zum Jahr 1977. Du akzeptierst Reimanns Jobangebot, ich bin gespannt, wie er sich deinen Job vorstellt. Du bist 'ne exzellente Beobachterin, Lissa.»
«Fine. Kein Dacapo. Zu viel Honig bringt mich zum Kotzen», wehrte Melissa verlegen ab. Sie nahm das Geschäftshandy, in das sie, vorübergehend, Reimanns Nummer gespeichert hatte. «Melissa März.»
«In Ordnung, ich mache weiter.»
«Wann?»
«Gut, bis morgen.»
«Tom Braun bereut den Rauswurf, es war zu viel für den Sensiblen.»
Die Frauen grinsten sich an.
«Ich bin wieder offiziell eingestellt. Er hat morgen den Videodreh, und ich bin eingeladen, ihn abzuholen und den Tag über zu begleiten. Heute wird der volle Tag bezahlt, der alte Vertrag gilt. Wie überaus großzügig.»
«Na dann, zurück ins Auge des Orkans. Lass uns jetzt Tamara abholen.»
«Gladys kommt mit in die Kneipe.»
«Tamara leistet gute Arbeit.»
«Melissa?»
«Ja ja.»
«Ist für diesen Moment alles geklärt?»
«Für diesen Moment ist alles geklärt.»
Abenddämmerung. Ein kühler Abend, trotzdem waren die Stühle und Bänke vor den Kneipen gut besetzt, manche hatten Heizkörper auf dem Bürgersteig.
Melissa, Paula, Tamara und Gladys spazierten die Strecke entlang, wo sie am Nachmittag mit der Jagd auf den Verfolger begonnen hatten.
Sie bogen in die Oranienburger Straße ein, von der Friedrichstraße kommend. Gladys stieß begeisterte «Wows» aus, das Kopfsteinpflaster versetzte sie in Begeisterung.
Früher war die Straße grau, mit verfallenden Gebäuden und düsterer Beleuchtung, wenigen Kneipen - im Moment erinnerte Melissa nicht eine. Kneipen, die in die Nacht hinein geöffnet blieben und etwas, gar Warmes, zum Essen anboten, waren rar damals, befanden sich in anderen Bezirken
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