Backstage
vielleicht nichts an, aber du bist den Fragen über deine Besichtigungen ausgewichen.»
«Du hast richtig beobachtet. Ich kann dir zurzeit nichts dazu sagen, und wenn du mich deshalb nicht bei dir haben willst, dann versteh ich das. Aber ich versichere dir, dass es nichts mit dir oder deinen Leuten zu tun hat.»
«Erzähl es mir, wenn du kannst. Vielleicht bin ich bescheuert, aber irgendwas sagt mir, dass du koscher bist. Kennst du dieses Wort?»
«Ja. Danke. Auch für deine Sightseeing-Tour heute Abend. Du magst diese Stadt.»
«Eine Hassliebe, wie für viele, die hier leben. Eher eine Liebe, aber wir werden nicht gern bei einer Liebeserklärung erwischt, wir Berliner, wir meckern lieber. Du bist ein dankbares Opfer für meine Geschichten, willst alles genau wissen.»
«Viele Deutsche kritisieren die oberflächliche Art, in der Amerikaner Gespräche führen. Heute Abend saßen in unserer Nähe zwei Leute und klagten eine Stunde lang über das Wetter, die Politiker und die teuren Preise. Sind das die - wie sagt man - tiefen Gespräche?»
Melissa lachte. Zum Teufel, was immer diese Gladys in Berlin zu schaffen hatte, sie, Melissa, mochte diese Frau. Sie schenkte Wodka nach, hob das Glas.
«Nasdrowje.»
«Cheers.»
«Wie ist das, wenn das Land, in dem man geboren und aufgewachsen ist, plötzlich nicht mehr existiert?»
«Tja. Die DDR ist in einen gigantischen Farbeimer getaucht worden. Man hat uns befreit vom Gestank der Autos, Fabriken und Braunkohleheizungen und hat den Bewohnern ein auf die Stirn gestempelt.»
Gladys lachte. «Ich habe von hunderttausend Spitzeln gelesen oder war das kapitalistische Propaganda?»
«Ach ja. Weißt du, was man früher den Kritikern aus den USA entgegnet hat: Und wie haltet ihr es mit euren Negern? Ich bin zu müde und zu abgefüllt für so ein Gespräch, nein, stimmt nicht, ich hab jetzt einfach keine Lust dazu. Erzähl mir lieber was von dir. Deine Mutter ist oder war Deutsche, sagst du? Und dein Vater?»
«Indianer.»
«Was?»
«Indianer. Meine Mutter, inzwischen ist sie eingebürgert, gehörte zu diesen Hippies, die Indianer verehrten, von ihnen lernen wollten, wie man in Einklang mit der Natur lebt, ein einfaches Leben und all das. Sie flog in die United States, fuhr in eine Reservation und verliebte sich in einen Indianer. Leider war er ein Säufer, sagt sie, und als sie schwanger wurde und er sie, ohne es zu wissen und mal wieder betrunken, schlug, ist sie nach Kalifornien geflohen. Sie hatte nichts gelernt, konnte aber Kuchen und Torten backen und verkaufte sie, hat später ein eigenes Business eröffnet und wurde sehr erfolgreich.»
«Hast du deinen Vater und deinen Stamm mal kennen gelernt?»
«Ich wusste bis vor einigen Wochen nicht mal, dass ich ein Halbblut bin. Ein Halbblut. Scheißwort, was? Eine Sicherheitsüberprüfung meiner Dienststelle hat das ans Licht gebracht. Meine Mutter hat mir immer erzählt, dass mein Dad tot ist. Sie hat mich mein Leben lang belogen. Plötzlich hab ich noch ein Leben, ein fremdes.»
Paula gab es rasch auf, die betrunkene Tamara zu ihrem Auto vor der Detektei zu schleppen, und winkte ein Taxi zum Straßenrand.
«Sie wird sich nicht übergeben», versicherte Paula hoffnungsvoll und schob Tamara auf den Rücksitz; die Kleine gehörte zu denen, die im Suff schweigsam wurden.
«Schon gut. Da hinten liegt eine Plastetüte», erwiderte der Fahrer ruhig. «Wo kann ich Sie hinbringen?»
«Am Friedrichshain heißt die Straße, die Hausnummer weiß ich nicht, aber das Haus erkenne ich. Wenn Sie Zeit haben, bring ich die Kleine in ihre Wohnung und dann geht es weiter nach Wannsee.»
«Dann werd ich mal die Uhr abstellen, wir werden uns schon einigen über den Fahrpreis.»
Tamaras Wohnung war am Volkspark Friedrichshain, aber ohne Aussicht, im Seitenflügel, zweiter Stock.
Vom Flur ins Wohnzimmer, ein Durchgangszimmer zur Schlafkammer, Küche und ein winziges Bad dahinter; es war eine dieser verbauten Wohnungen, ursprünglich Teil der herrschaftlichen Vorderhauswohnungen, jetzt ungeschickt unterteilt. Tamara murrte leise, als Paula sie weckte, taumelte aber folgsam vom Taxi in die Wohnung und schlief wieder, kaum die Matratze berührend. Paula zog ihr Jacke und Schuhe aus, öffnete den Reißverschluss der Hose und stellte einen Eimer und ein Glas Wasser neben das Bett, Tamaras Wohnungsschlüssel legte sie auf den Tisch.
Tamara. Aufgewachsen bei denen, die man 68er nannte, ein Einzelkind intellektueller Eltern, die
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