Backstage
noch Pflegerin -, fragte: «Warum wolltest du mich sprechen?»
Wie sollte sie mit der Frau umgehen, die ihr an die Kehle gegangen war und jetzt getröstet werden wollte, für das, was sie ihr angetan, in Selbstmitleid sich suhlte.
«Also warum? Was wolltest du mir sagen, gestern, was ist passiert?»
«Ich hab ihn schon als Teenie haben wollen. Alle Mädchen im Dorf. Er war was besonderes. Aber immer mit Panitz zusammen. Der war wie sein Schatten. Tom hat nie kämpfen müssen. Alle wollten mit ihm zusammen sein. Er hatte so eine Art.»
Lilli war unmerklich in den Tonfall der Kindheit verfallen, Singsang und das S als SCH gesprochen.
«Tom lachte über alles. Er war der Erste, der im Dorf lange Haare hatte. Es war so super, als er mich ins Kino mitgenommen hat, später in 'ne Disco, nach Heidelberg.»
Die Finger verknotet, das Blut wich aus den Händen, die Knöchel stachen weiß hervor, der Oberkörper schwankte, vor und zurück, wie in Zeitlupe.
«Ich hätt alles für ihn getan. Wir haben uns immer an einem bestimmten Ort getroffen. Er hat manchmal, noch ohne Führerschein, heimlich das Auto von seiner Mutter genommen, ist damit auf dem Land rumgefahren, im Dunkeln, das hat auch die Polizei später nicht rausgekriegt. Und in dem Auto hat er mit ihr gebumst.»
Lilli atmete flach, unruhig.
«Ich hab nichts gesagt. Einfach weitergemacht. Und dann bin ich mal dorthin gelaufen, als er weder zu Hause noch bei Panitz war, und da hab ich sie gesehen, sie ist vor das Auto gelaufen, er hatte volle Fahrt drauf und ist weitergefahren, sie lag da, neben der Hecke, blutete und blutete, und ich hab sie liegen lassen, bin weggegangen.»
Der Oberkörper auf und ab, wiegend, immer rascher.
«Tom dachte wohl, dass er sie totgefahren hat. Panitz hat ihm ein Alibi gegeben. Aber sie war selbst schuld, ist ihm ins Auto gelaufen. Sie hätte auch danach noch gerettet werden können, wenn ich nicht ... Panitz dachte, Tom hätte es mir erzählt, weil wir zusammen waren und zusammen geblieben sind. Er hat Tom erzählt, dass er mit mir über den Abend geredet hat. Tom und ich haben nie darüber geredet. Er hat jetzt erst erfahren, dass sie verblutet ist, ist damals abgehauen mit mir, weggefahren, wollte keine Zeitung und nichts.»
Deshalb blieb Tom mit ihr verheiratet, ergänzte Paula für sich. Lilli wusste Bescheid über den Unfall und die Fahrerflucht. Und Panitz, vermutlich.
Die Frage, warum Braun sich nicht scheiden ließ, die Tatsache, dass das Mädchen verblutet war, und die Aussage des Arztes, dass es sich bei dem Unfallort um einen den Dorfjugendlichen bekannten Treffpunkt handelte, waren für Paula die entscheidenden Hinweise darauf, dass Lilli an der Geschichte einen wichtigen Anteil hatte.
«Plötzlich ist Panitz wieder aufgetaucht. Er hat mir im Flugzeug gesagt, dass er wieder im künstlerischen Bereich arbeiten will, Tom ihm das schulde. Er hat durchsickern lassen, wann Tom in Berlin landet. Wollte ihn wieder, mit Haut und Haar, wie früher, wollte Macht.»
Lilli liefen Tränen über das Gesicht, sie beachtete sie nicht. Paula sah sich um, niemand im Garten, sie wollte gehen, fliehen vor dieser Frau, mochte sie aber auch nicht alleine lassen. Paula nahm das Aufnahmegerät aus der Tasche, die sie zwischen sich und Lilli gestellt hatte, und drückte den Aufnahmeknopf auf aus, es war genug. Sie nahm die Tasche auf die andere Seite. Lilli schien nichts bemerkt zu haben, erregte sich immer stärker, «es ist alles aus».
Paula griff nach Lillis Hand, die sie ihr sofort entriss: «Das ist alles meine Schuld», sagte sie, stand auf, wich vor Paula zurück: «Du kannst mir auch nicht helfen.»
«Gib mir doch mal eine Chance. Setz dich wieder zu mir.»
Lilli wich zwei, drei Schritte zurück, stolperte, das Wasser umspülte bereits die Füße.
«Bleib stehen, verdammt, was soll die Scheiße.»
Lilli drehte sich weg, warf sich ins Wasser, schwamm los.
Paula schrie um Hilfe, mein Gott, sie konnte nicht schwimmen, riss die Klettverschlüsse der Schuhe auf, trat sie an den Hacken herunter, schleuderte sie von sich, das dauerte, «Lilli, nein, komm zurück», sie schwamm schon langsamer, in Kleidung, die sich voll Wasser saugte, es musste eiskalt sein, wie lange mochte sie sich halten? Und dann geriet Lilli in die Seerosen, die anderen Gewächse, schrie auf: «Da hält mich was», schluckte Wasser, würgte, hustete. Paula schrie wieder um Hilfe und ging ins Wasser, paddelte los. Das Wasser griff sie mit eisiger Wucht an,
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