Backstage
ersten vierundzwanzig Stunden im Fall Panitz, in denen Ergebnisse am wahrscheinlichsten, waren längst überschritten. Lillis Tod überdeckte zunächst Fragen nach den Panitz-Ermittlungen. Aber man musste unterstellen, dass auch sie als Täterin in Betracht kam.
Soko-Mitarbeiter wollten dringend Tom Braun sprechen, notfalls mit staatsanwaltlicher oder vernehmungsrichterlicher Vorladung. Aber das behandelnde Ärzteteam erklärte Braun für vernehmungsunfähig, vermutlich für mehrere Tage.
Man hatte Paula mit dem Notarztwagen in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht, behandelte dort die schwache Unterkühlung und entfernte den alten Gips. Immer noch ein einfacher Handgelenksbruch, Radiusfraktur sagte die Ärztin, und machte sich daran, den Bruch zu richten. Man beschloss, nicht nur das Handgelenk ruhig zu stellen, legte wieder einen zirkulären Gips an, schnitt ihn wieder auf, um die Schwellung abheilen zu lassen, ergänzte den Gips mit einer Schiene über das Ellbogengelenk und verband das Ganze zur Beugestellung. Dann stellte man auch Paula ruhig, gab ihr etwas, das sie schläfrig machte, das Denken ausschaltete, die ununterbrochene Frage: hätte ich Lilli nicht doch retten können?
Melissa blieb an Paulas Seite, organisierte ein Einzelzimmer, in dem sie den Tag über, im Sessel, Paulas Schlaf bewachte.
Tamara übernahm den Außendienst, brachte Waschzeug, Kleidung zum Wechseln. In Paulas Tasche, die die Hausdame an sich genommen, bevor die Polizei eintraf und Melissa übergeben hatte, fanden sich Ausweis und Kassenzugehörigkeit für die Klinikadministration.
Paulas Aufnahmegerät lag noch unangetastet in ihrer Tasche.
gladys und tamara
ZWEITER TEIL
ZEHN
Ein kleines Zimmer im Morgengrauen, Jalousien filterten das erste Tageslicht. Beiger Wandanstrich, die Decke weiß.
Vom Flur her keine Geräusche.
Links ein zweites Krankenhausbett, auf dem Melissa lag, am Rand, sodass man befürchten musste, sie fiele schon bei leichter Bewegung herunter, von dieser schmalen Liege, in ungewohnt hoher Schlafhöhe. Das Haar gelöst, eine dicke Strähne verdeckte die Hälfte des Gesichts, ihr, Paula, zugewandt, sie im Blick, bis der Schlaf Melissa mitgenommen hatte.
Der Arm war noch schwerer als Tags zuvor. Die Augenlider bleischwer, Kopfschmerz, der hinter der Stirn lauerte, die Glieder, vorsichtig bewegt, wie zerschlagen. Obwohl seit gestern Nachmittag im Bett, dösend, dann weggedämmert, hatte der Schlaf sie nicht erfrischt. Und dieser Arm, ein Klotz, man hatte sie eingegipst, sie würde auf Hilfe angewiesen sein.
Der Mund trocken, Magengrummeln, in der Stille ein Fortissimo.
Ihr Blick fiel auf einen Tisch, zwei Stühle, an der Lehne hing ihre Umhängetasche, auf dem Tisch blieb der Blick am Aufnahmegerät hängen.
Das Herz klopfte einen Sprung, setzte wieder ein, blieb im alten Rhythmus.
Lilli.
Im Gipsraum hatte sie gehört, wie jemand von der toten Frau sprach. Melissa, bestätigend, nickte.
Lillis Hände, die nach ihr griffen, sie nach unten zogen, in dieses Gewirr von Stängeln und Wurzelwerk.
Die Angst, selbst zu ertrinken, die Kraft, die sie plötzlich spürte, um sich zu befreien.
Nochmal Lillis Gesicht, der Mund, weit aufgerissen, nach Luft ringend, die Augen, der Blick schon verschleiert, weit in der Ferne.
Der Rettungsring, den Paula umklammert hielt, durchs Wasser gezogen, dann Nebel, die Ohnmacht. Danach das Weitere so erlebt, als beträfe es eine andere.
«Brauchst du was?»
Melissa, von Paula unbemerkt aufgewacht, strich das Haar zur Seite, sah sie an.
«Was zu trinken. Und wo ist das Klo?»
Melissa richtete sich auf, reichte Paula das Glas, gefüllt mit Mineralwasser, deutete zur zweiten Tür hinter einem Sichtschutz. «Soll ich die Bettpfanne holen?»
«Don't baby me», flüsterte Paula, räusperte sich, trank das Glas leer, setzte sich auf, schwankte einen Moment, der Kreislauf, Schwindel, holte tief Luft, stand, auf nackten Füßen, und machte sich auf den Weg zum Bad, Schritt für Schritt, ein langer Weg in diesem kleinen Zimmer, an diesem Morgen.
Melissa reckte sich, so ein verdammtes Bett, das den Namen nicht verdiente. Sie ging zum Fenster, zog die Jalousie hoch, riss einen Flügel auf und atmete gierig die frische, kühle Luft.
Die Tür zum Flur schwang auf, die Nachtschwester sah herein: «Alles in Ordnung?», und verschwand wieder, als Melissa nickte. Hilfsbereit hatte sie ihr am späten Abend die Liege ins Zimmer geschoben, nachdem sie Stunden auf dem Sessel zugebracht, der
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