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Backstage

Backstage

Titel: Backstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schwarzwälder
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immer kleiner und härter zu werden schien.
    Man hatte Paulas Abendessen gebracht, das Melissa aufaß, während Paula unruhig schlief.
    Tamara erledigte den Papierkram und wies sie auf Paulas Aufnahmegerät hin; sie würde heute Kopfhörer mitbringen, ohne die es nicht abzuhören war.
    Melissa ging zu Paulas Bett, strich das Laken glatt, schüttelte Kissen und Decke auf, widerstand dem Drang, nach Paula zu sehen. Paula hatte das Handgelenk gebrochen, aber weder die Beine noch den Verstand. Wie sie mit dem Schrecken, mit ihren Gefühlen umging, war ihre Sache. Sie nahm sich vor, sie nicht zu bevormunden.
    Es zumindest zu versuchen.
    Melissa setzte die Flasche mit dem Mineralwasser an und trank sie in einem Zug halb aus.
    Paula, in T-Shirt und Unterhose, stand vor dem Spiegel. Sie hatte das Gesicht gewaschen, war sich durch das Haar gefahren, das, kurz geschnitten, in einem Wirbel an der Stirn abstand. Sie starrte in den Spiegel, ohne sich zu sehen.
    Sie hatte schon Erfahrung mit dem Tod: dem der Mutter, des Vaters, eines Klienten, vor kurzem dem ihrer Patentante, nun Lillis. Unfassbar - eine der Vokabeln, selbst in Fällen, in denen der Tod angekündigt war, bei langer, schwerer Krankheit etwa. Aber Trauer war nicht vorwegzunehmen. Der Mensch noch da, ansprechbar, fühlbar, und plötzlich weg. Der Weg mit ihm zu Ende, unwiederbringlich.
    Trauer ließ die Bilder scharf werden, eine Insel, auf der man sich bewegte, abgeschnitten vom Alltag.
    Abschied. Wie machte man das? Wie fassen? Und: Der eigene Tod rückte ins Bewusstsein. Näher. Wozu planen, wenn das Ende, grausam, jederzeit Zukunft abschneiden konnte? Beinhaltete Gegenwart nicht Zukunft? Und Neugier? Planen? In Trauerzeiten bedeutete Gegenwart nur Verlust. Schock. Unbegreiflich. Und dann wund, schutzlos.
    Paula schloss die Augen, atmete tief ein, langsam aus. Sie musste sich zusammennehmen.
    Sie ging zurück in das Zimmer, zum Fenster, blieb minutenlang dort stehen, fröstelnd, aber die Kühle belebte, weckte die Freude, am Leben zu sein, fassungslos, geschockt, aber am Leben. Sie drehte sich zu Melissa.
    «Wann können wir hier abhauen?»
    «Lass uns die Morgenvisite abwarten, und dann gehen wir.» Paula verdrehte die Augen, kniff die Lippen zusammen. «Du willst mich hier drin festhalten. Kommt überhaupt nicht in Frage.»
    «Ich sag dir das jetzt einmal. Ich habe keine Lust, dir Hilfe anzutragen und dafür eins in die Schnauze zu kriegen. Du wirst sagen, wenn du was brauchst. Du bist dein Boss. Aber lass auch mal zu, wenn ich dich in den Arm nehme.»
    Sprach's, ging auf Paula zu und klemmte sich die Kleine unter die Achsel.
    «Dieser blöde Gips», sagte Paula, wischte sich, beinahe zornig, die Tränen von den Wangen.
    Sie setzten sich in Paulas Bett, Kissen in den Rücken.
    Erst redete Paula. Stockend, immer wieder sich räuspernd, Knubbel ausspuckend wie ein Kettenraucher am Morgen, mit Pausen, nach Luft ringend.
    «Ich kann nicht schwimmen. Hab's nie richtig gelernt. In der Schule den Sportkurs geschwänzt, meinen Eltern ausgewichen. Ich hasste es, keinen Boden unter den Füßen zu spüren. Zum Glück, so empfand ich das damals, hab ich eine Chlorallergie bekommen und konnte mich rausschwindeln, bis niemand mehr darauf achtete, ob ich schwimmen konnte.»
    «Warst du nie in einem der Berliner Seen zum Baden, im Sommer, mit Freunden?»
    «Nur draußen, am Ufer. Wenn es gar nicht anders ging, bin ich gepaddelt, wie Hunde, Kopf oben und schnell unter einem Vorwand raus aus dem Wasser.»
    «Es ist fraglich, ob ein Schwimmer sie hätte retten können. Die Frau war in Panik, nachdem sie Wasser eingeatmet hatte.»
    «Sie zog mich runter, mit einer Kraft wie eine Verrückte. Dabei war das Ufer noch so nahe. Wenn sie diese Kraft nur zum Schwimmen genutzt hätte.»'
    «Sie war wohl nicht mehr bei sich.»
    Das gehörte ins Reich der Vermutungen. Es gab nichts mehr dazu zu sagen, in diesem Moment, an diesem frühen Morgen.
    Fiebermessen, Puls fühlen, Eintragungen; die übliche Krankenhausroutine, der Betrieb erwachte mit seinen dazugehörigen Geräuschen.
    Paula kündigte der Krankenschwester an, dass sie entlassen werden wollte. Es ist Samstag. Trotzdem. Es gibt heute keine Visite. Aber die Stationsärztin wird sich, nach Dienstantritt, den Arm angesehen.
    «Kommt alles auf die Rechnung», sagte Melissa. «Jeder Schritt.»
    «Ist das ein Privatzimmer?», fragte Paula.
    «Ja», grinste Melissa und ging Kaffee organisieren.
    «Jetzt ist endgültig Schluss mit

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