Backstage
unmöglich, Lilli noch zu erreichen, der Gips hinderte, sie kam nur langsam voran. Da tauchte Lilli wieder auf, schnappte panisch nach Luft, schlug um sich, mein Gott, das Ufer war doch gar nicht so weit entfernt. Als Paula sie erreichte, griff Lilli nach ihr, zog sie unter Wasser, das trübe die Sicht begrenzte. Paula spürte Panik aufsteigen, nur hoch, die Beine schlugen an harte Stängel, sie kam nach oben, japste nach Luft, paddelte mit Armen und Beinen.
Ein Mann rannte über den Rasen herbei, nestelte am Rettungsring, warf ihn Paula zu. Der Rettungsring zu kurz geworfen, Menschen, Schreie, das Wasser, so kalt, die Kleidung voll gesogen, der Gips schwer, sie paddelte um ihr Leben, dann der Ring im Blickfeld, mit aller Kraft und Konzentration die Beine bewegen, den Körper zum Ring hin zwingen, Panik, weil das Atmen so schwer fiel, zupacken und dann zog man sie an das Ufer. Ein Boot wurde gerade ins Wasser gelassen, auf der Suche nach Lilli. Eine Decke um Paula gehüllt, jemand klopfte ihr auf den Rücken, sie hustete, spuckte, ein Mann hob sie hoch, um sie zum Haus zu tragen, sie schrie, «Nein, Lilli», aber es war nur noch ein schwaches Stammeln und dann Dunkelheit, die sie verschlang.
Der Anruf brach ein in die Vorbereitungen für die Videoaufnahmen und eine Auseinandersetzung zwischen Braun und Reimann.
«Du hast seit fast drei Wochen Ferien, kaum Termine, Mann, reiß dich zusammen heute.»
Man brach sofort die Arbeit ab. Melissa fuhr Braun und Reimann nach Grunewald.
Man war hinausgerudert, ins Wasser gesprungen, hatte Lilli ins Boot gezogen und an Land gebracht, Schmutz und Erbrochenes entfernt, um die Atemwege frei zu machen, Wiederbelebungsversuche geleistet.
Es war zu spät. Lilli war tot.
Jemand ließ die Todesnachricht durchsickern, und sofort, wie auf Bestellung, klumpten sich Presse- und Fernsehvertreter in der vordem stillen, verschlafenen Straße.
Wieder musste die Schutzpolizei gerufen, dann verstärkt werden, um das Gelände abzuriegeln. Aber rasch tauchten Boote auf dem See auf und filmten: Die Untersuchungen am Unfallort, Spurensicherung, Erkennungsdienst, Mordkommission, sogar eine Staatsanwältin. Früh setzte Tatorttourismus ein, zu Fuß und auf dem Wasser, sowohl Zivilisten als auch Polizisten. Man forderte die Einrichtung einer Sonderkommission, Berlins Ansehen leide.
Man fand Seewasser in der Lunge, das Lilli Braun eingeatmet hatte. Es bestätigte Paulas Aussage - aus der Ohnmacht zurückgeholt -, die sie vor der Abfahrt in die Klinik machte, bestätigte den Verdacht auf Unfall, Ertrinken nach einer Panikattacke. Das Wasser war an dieser Stelle nicht sehr tief, aber Schlingpflanzen, Wurzelwerk und die Seerosen mochten die Panik erhöht haben, dazu die im Schlafzimmer gefundenen Schlaf- und Beruhigungsmittel, die zu der vermuteten Orientierungslosigkeit in der kritischen Situation beigetragen, sie verursacht haben mochten.
Die Medien überschlugen sich. Saltos aus Fakten, Vermutungen, Klatsch-Cocktails vom Beliebtesten, schon am Abend in den Lokalnachrichten und Boulevardmagazinen: Crime unter VIPs.
Tom Brauns Teilnahme am Wohltätigkeitskonzert an diesem Freitagabend wurde abgesagt.
Die Single, in den letzten Tagen auf Platz drei in den Charts gestiegen, wurde vorsorglich nachbestellt und würde, nach Ansicht von Branchenkennern sowie so genannten Experten, zahlreich interviewt, an diesem Wochenende auf Platz eins landen.
Braun, der in wenigen Tagen Freund und Ehefrau verloren und damit die Schlagzeilen und Boulevardmagazine füllte, lag mit einem Nervenzusammenbruch, wie offiziell gemeldet, in einem Krankenhaus, Adresse unbekannt. Vorläufig.
Reimann organisierte, der Einzige, der Brauns Aufenthalt kannte, er nahm alles in die Hand. Man spekulierte, ob Brauns Mutter, nach Berlin eingeflogen, um sich um den Sohn zu kümmern, ihn mit nach Hause nehmen würde.
Beerdigungen lagen an. Panitz' Leiche war bereits auf Veranlassung der Schwester nach Heidelberg überführt worden, Lillis Leiche lag vorläufig in der Gerichtsmedizin; nach Abschluss der Untersuchungen sollte ein Beerdigungsinstitut ein Urnenbegräbnis organisieren.
Die Pressestelle der Polizei wartete ungeduldig darauf, über den Stand der Ermittlungen unterrichtet zu werden. Man gab die Einrichtung einer Sonderkommission bekannt, aus Mitgliedern der Mordkommission bestehend, zog einen Profiler hinzu - alle überlastet, schon mit anderen Ermittlungen betraut, die übergeben werden mussten, an zu wenig Personal. Die
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