Backstage
immer gut. Der Text? Vielleicht eine Mischung aus Deutsch und Englisch. Wir hören uns.»
«Das war die Plattenfirma, die sind besorgt. Tom muss diese Band abschaffen, eine feste Band rechnet sich nicht, Mensch, drei Leute, die noch in Urlaub sind, wie Beamte, sind doch keine Klassiker im Orchester. Für Touren stellt man eine Band zusammen, ansonsten wozu, singt doch keiner mehr live, besser sind Tänzerinnen. Wo willst du hin?»
Melissa, aufgestanden, Gläser in der Hand, antwortete: «Meine Ruhe haben.»
«Bleib da. Du hast Recht. Mal muss Schluss sein. Das ist die Gefahr bei Freiberuflern, nie sagt einem jemand, jetzt hast du Feierabend. Noch einen? Ober, noch zwei.»
Wieder einer, der ihr sein alkoholisches Fassungsvermögen beweisen wollte. Melissa hatte keine Energie mehr, mit ihm zu streiten. Sollte er reden. Frag einen Mann nach seinem Leben, und das Abendthema ist geklärt. Wirf ab und an ein «Ach ja» ein, hör weg bei den langweiligen Stellen und entspanne.
«Ich? Zum Rock 'n' Roll gekommen? Durch einen Zufall. Ich hab in Mannheim gearbeitet, Rotlicht und Waldhof, das ist ein Fußballverein dort, das gehörte zu meinem Leben. Ich hatte ein unverkrampftes Verhältnis dazu. Meine Großmutter war Weißnäherin, die hat für die Damen die Unterwäsche genäht, meine Mutter hat sie hingetragen und ist später in das Geschäft eingestiegen, aber nicht mit Unterwäsche, die gab's schon von der Stange, sondern mit Broten.»
Jetzt hatte er Melissas Aufmerksamkeit.
«Die müssen doch auch essen. Meine Mutter hat belegte Brote gemacht, später auch Salate, Kartoffelsalat, Nudelsalat, und ich hab das Essen ausgetragen. Aber das Geschäft hat sich verändert, wurde härter. In meiner Zeit beim Bund hab ich dann Rockmusik gehört, bin zu Konzerten, bei Frankfurt, mit den Amisoldaten, hab Amigruppen live gehört, eine Band kennen gelernt, so kam eins zum andern.»
Das Weitere war wieder die übliche Aufschneiderei beruflicher Heldentaten, von Whiskey begleitet und Zigaretten in Kette. Melissa saß stumm auf ihrem Stuhl, nickte in unregelmäßigen Abständen und wartete, bis er anfing, den Faden zu verlieren, schließlich die Rechnung unterschrieb, mit kühnen Krakeln, wankend aufstand, sie fassungslos anstarrte und sich aus der Bar begleiten ließ.
Mit einem kleinen Lächeln in den Mundwinkeln griff Melissa zu ihrem Glas, trank das Mineralwasser hinterher, Schluck für Schluck, genießerisch und in Ruhe.
Um halb eins lag sie im Bett.
NEUN
Das Warten zermürbte.
Wer würde den nächsten Schritt wagen?
Er fühlte sich ungerecht behandelt, wachte mit diesem Gefühl auf, suchte es tagsüber zu verdrängen.
Er würde jetzt losgehen, die Initiative ergreifen. Eine zum Aufputschen einwerfen, besser zwei, und dann los.
Nicht der Reichstag linker Hand noch die neu erbauten Regierungsgebäude zogen ihn an. Es war das Tor, das Brandenburger Tor, hell, renoviert. Für Momente blieb ihm die Luft weg. Er schaute hinauf, in den Torbogen. Atmete tief durch. Zum ersten Mal lief er durch das Brandenburger Tor, von West nach Ost. Wo war die Mauer verlaufen?
Vor ihm der wieder fast nahtlos umbaute Pariser Platz, Sperrgebiet damals, begehbar nur für Militärs, Grenzsoldaten.
Oh Mann, das alles war nicht wiederzuerkennen: Banken, Hotel, Botschaft. Und Touristen en gros. Er hatte sich den Sonntag ausgesucht für seinen Erkundungsgang zur Botschaft, suchte die Nähe von flanierenden Besuchergruppen, Sprachfetzen in deutschen Dialekten, Englisch, Japanisch.
Verschwunden die alten Plattenbauten, die früher diesen Abschnitt des Boulevards säumten, die die Botschaften des Ostblocks beherbergten. Die Polen, die Ungarn waren noch da, und die Russen, in ihrem Prunkbau, der beinahe einen ganzen Häuserblock einnahm, Lenins Büste aus dem Garten entfernt. Den Schirm der Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen, ein Drei-Tage-Bart, den er aber heute Abend abrasieren würde, er fühlte sich dreckig damit.
Er war aktiv geworden, musste die Initiative ergreifen. Sie abfangen. Das Spiel umkehren, Jäger statt Gejagtem.
Der deutsche Außenminister kam ihm entgegen, zu seiner Zeit ein Linker, Chaot. Jetzt telefonierte er im Gehen, im Dreiteiler, Bodyguards Meter hinter ihm, Herrgott nochmal, was war nur los in dieser Welt, den Typ könnte man im Nu abknallen. Neustädtische Kirchstraße, unaussprechlich, Seitenstraße von Unter den Linden. Links und rechts Cafés, auf dem Fußgängerweg Tische und Stühle, perfekt, um unauffällig auf
Weitere Kostenlose Bücher