BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
erwiderte Anum scharf. »Wozu in ein erbärmliches Haus, in dem es nach Tod und Armut riecht?«
Nach kurzem Zögern sagte Heaven: »Weil
ich
es so will.«
Schulterzuckend kehrte Anum ihr den Rücken. »Gut, wenn du meinst... Für den Moment lassen wir sie am Leben.«
Kurz darauf verließen sie die Unterwelt. Rona hörte Heaven die Kinder bei ihren Namen rufen. Rahel und David.
Besonders das Mädchen faszinierte Rona so sehr, dass sie fast übersah, wie Heaven während des Aufstiegs überraschend noch einmal innehielt. Im letzten Moment konnte Rona sich in eine Nische drücken.
»Was ist?«, hörte sie Anums Stimme.
Eine Weile hörte man nur Atem.
Dann sagte Heaven: »Nichts.« Und setzte ihren Weg fort.
Noch vorsichtiger als zuvor heftete Rona sich an ihre Fersen. Im grauenden Morgen folgte sie den Gestalten durch Jerusalems Gassen, bis sie in einem kleinen schiefen Haus verschwanden, dessen Tür halb offen stand.
Heaven verschloss sie hinter ihnen. Erst als der Riegel von innen hörbar vorgeschoben wurde, schossen Rona Tränen in die Augen. Eine Flut von Tränen.
Sardon war tot, während seine Mörder weiterlebten!
Rona wollte alles tun, um das zu ändern.
Flehend richtete sie ihren Blick auf den trotz des frühen Tages immer noch sichtbaren Mond. Als könnte sie die fahle Sichel allein kraft ihres Willens vor der Zeit zum magischen Rund vollenden.
Doch der bleiche Geselle am Himmel widerstand.
Zumindest an diesem Tag.
Und
ihrem
Willen...
Das Tal blühte. Rings um die tempelartige Anlage und dazwischen erstreckte sich ein buntes Blumenmeer, das in der besinnlichen Heiterkeit, die es ausstrahlte, wie ein Kontrapunkt zu den schwermütigen Gedanken wirkte, die der greise Chiyoda hinter seiner zerfurchten Stirn wälzte.
Die zerbrechlich dünne Scheibe, die Chiyoda am Fenster des Sanktuariums von der sonnenbeschienenen Landschaft draußen trennte, erinnerte den weißhaarigen und -bärtigen Chinesen daran, wie allzu leicht auch das Gefüge zerbrochen werden konnte, das die Menschen
dieser
Ebene ihre Wirklichkeit nannten und als solche empfanden.
Von solcherlei Beschränkung hatte er sich seit langem losgesagt. Er war in vielen Wirklichkeiten zu Hause, und nur er selbst wusste, wie schwer es ihm manchmal fiel, in jene zurückzukehren, der er entstammte.
Nicht, weil er Mühe gehabt hätte, sie wiederzufinden, sondern weil es bessere Welten als diese gab. Welten ohne –
»Hier bist du...«
Die Stimme holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Noch bevor er sich umdrehte, wusste er, wer in sein privates Reich abseits der Meditationsräume eingetreten war.
»Makootemane.« Chiyoda hob grüßend die Hand. Eine Geste, die der alte Arapaho-Häuptling erwiderte. »Was führt dich zu mir?«
»Errätst du es nicht?«
»Geht es um Wyando?«
Der Indianer vom Oberlauf des Mississippi nickte kaum merklich. Auch sein Gesicht war faltenübersät, aber bartlos und rötlich braun wie gegerbtes Leder, nicht wächsern wie Chiyodas Teint. Das lange blauschwarze Haar hatte er im Nacken gebunden, dort wo sich auch der schmale Streifen Gefiederflaum entlang zog, der seine Verbundenheit mit dem Totemtier seines Stammes, dem Adler, dokumentierte. Der Flaum war nicht etwa aufgesetzt, er
spross
aus der Haut des Arapaho, wie auch in den Nacken der anderen noch lebenden Mitglieder seiner Sippe.
1688 war Makootemane von Sardon einer Kelchtaufe unterzogen und zum Oberhaupt über die ihm nachfolgenden Täuflinge erhoben worden. Mit Hilfe ihrer Totemtiere hatten die Arapaho jedoch im Laufe der Zeit dem Bösen abgeschworen, und als vor nicht allzu langer Zeit das große Sterben über die Kelchkinder gekommen war, war es Makootemane gewesen, der den unersättlichen Todbringer in einer gewaltigen mentalen Schlacht wenigstens von seinem Stamm abgewehrt hatte. [3]
Am Ende des Kampfes hatte Makootemane das Tor in eine andere Realität aufgestoßen, in die er schließlich erschöpft hinübergeglitten – und auf Chiyoda getroffen war. Seither waren sie unzertrennlich, und so grundverschieden sie optisch auch sein mochten, charakterlich waren sie einander sehr ähnlich.
»Was ist mit ihm?«
»Er sagt, es fruchtet nicht.«
»Was fruchtet nicht? Die Übungen, die ich ihn lehrte und die er sich nun verinnerlichen soll?«
Die Iris von Makootemanes Augen sah aus wie mit Pech überzogen. »Er ist sehr ungeduldig, aber das hat seinen Grund. Er vermisst sein Seelentier. Er hat schon einmal erlebt, was aus ihm wird, wenn die
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