BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
ihn und das, was der andere ihm zeigen wollte.
Eine... Frau?
Auf den zweiten Blick gab es für Sallar keinen Zweifel daran, dass es sich um eine Frau handelte. Auf den ersten allerdings, und das hätte er noch jetzt beschworen, hatte er etwas ganz anderes gesehen! Ein... ja, was eigentlich? Eine Unmöglichkeit! Eine Kreatur mit ledernen Schwingen und wie verkrüppelt wirkenden Füßen, ein Wesen, das aussah wie eine Kreuzung aus Mensch... und Fledermaus?
Raj Sallar lachte auf, aber es klang nicht im mindesten belustigt.
Mosh Espa tanzte um die reglose Gestalt herum wie ein Derwisch. Dabei brabbelte er unentwegt halblaut vor sich hin, schlug sich mit den flachen Händen ins Gesicht, gegen die Stirn, auf die Schenkel.
Sallars Wut auf Espa löste sich in nichts auf. Mit einer lahmen Geste deutete er auf die Frau hinab. Sie war atemberaubend schön, das erkannte er, obwohl er sie im vagen Licht hier unten nur undeutlich sehen konnte. Sie trug ein eigenartiges Gewand, eine Art hautengen schwarzen Overall, der an vielen Stellen wie zerrissen aussah. Ihre nackte Haut schimmerte wie Alabaster, das schwarze Haar lag wie etwas Flüssiges, das in der Bewegung erstarrt war, um ihren Kopf. Und dann war da noch –
"Blut?" stieß Sallar hervor. "Sie blutet?"
Espa nickte. "Ja, klar blutet sie. Ich hab' sie ja abgeschossen!" Er kicherte irre. "Das heißt, nicht sie, nein, ich hab' nicht auf sie geschossen, sondern auf..." Er brach schweratmend ab.
"Sondern?" hakte Sallar nach.
"Auf ein Monster!" krächzte Espa. "Auf ein beschissenes kleines Biest! Auf eine... ja, eine verdammte Fledermaus! Sie kam von hinten auf dich zu, Mann! Und ich hab' sie runtergeholt... aber jetzt liegt auf einmal dieses Weib hier! Ich pack's einfach nicht!"
"Du meinst –?" fragte Sallar zweifelnd. Aber hatte er nicht eben selbst noch den Eindruck gehabt, dass mit dieser Frau... nun, etwas nicht stimmte?
Wieder nickte Mosh Espa, hastig, zitternd vor Aufregung. "Genau das will ich sagen: Das Weib hat sich verwandelt! War vorher 'ne Fledermaus! Ich schwör's!"
Raj Sallar ging in die Knie. Dabei warf er einen raschen Blick in die Runde. Die steinernen Stufen endeten in einer Art Kammer, die aussah, als wäre eine Bombe darin explodiert. Trümmer lagen herum, der Boden war stellenweise aufgerissen. An der gegenüberliegenden, gemauerten Wand machte er eine vergleichsweise filigrane Vertiefung in der Wand aus, die zufällig oder gewollt dem Querschnitt eines Trinkkelchs ähnelte. Welche Bedeutung in Wahrheit dahintersteckte, ließ sich nicht erraten. Es war im Moment auch zweitrangig. Wichtig war die Frau. Wer war sie? Und vor allem: Woher kam sie?
Er berührte sie vorsichtig, suchte ihren Puls.
"Ist sie...", Espa schluckte vernehmlich, "... ich meine, hab' ich sie –?"
"Umgebracht?" vollendete Sallar die Frage. Er wollte zu einer Antwort ansetzen, aber statt dessen prallte er mit einem erschrockenen Laut zurück.
Die Frau schlug die Augen auf.
"Nein, das hast du nicht", antwortete Heaven an Sallars Stelle. Zornfunkelnden Blickes sah sie zu Mosh Espa auf. "Zum Glück hast du das nicht, du Idiot."
Kurz darauf
Während sie den Lilienkelch in die Wandnische schob, die passgenau auf ihn abgestimmt war, zitterte Heavens Hand, als wäre auch diese sich der Bedeutung des Moments bewusst.
Vielleicht war sie es sogar, denn es war die Hand mit dem
Tattoo
. Die Hand, die Gott stigmatisiert hatte...
Ein paar Sekunden, die für Heaven die Qual einer Ewigkeit annahmen, geschah überhaupt nichts. Keinerlei Veränderung. Die Kammer, in die das schwindende Tageslicht wie ein unruhiger, von ziehenden Wolken in Bewegung gehaltener Schleier wehte, lag so öde und verwüstet da, dass kein Mensch ihr mehr Bedeutung als einem ausgeräuberten Grab beigemessen hätte.
Heaven wusste es besser. Und deshalb wartete sie voller Ungeduld.
Da!
Der stille, heimliche Glanz, der Heaven während ihrer Flucht aus Jerusalem und der Zone des Satans beschützt hatte und den sie verdächtigte, dass er sie beschützt hatte, war erloschen. Matt und von der Patina unzähliger Bluttaufen überzogen stand der Lilienkelch in der jahrtausendealten Wand, die in diesem Augenblick endlich –
– verschwand!
Und den Kelch mit sich ins Nichts riss!
Ins scheinbare Nichts,
korrigierte sich Heaven. Sie atmete auf. Und ließ die Erleichterung wie ein Beruhigungsmittel in sich sinken.
Den Lärm, der draußen aufbrandete, versuchte sie nicht an sich herantreten zu lassen. Starr war
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