BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
riss sie aus ihrem Grübeln.
Ein Schrei.
Der Schrei eines Kindes – eines Neugeborenen?
Ein anderer kam hinzu, lauter und anders. Der Schrei einer Frau – der Mutter?
Vermutlich.
Aber es klang keine Freude über das Neugeborene darin. Sondern nur panische Angst um dieses gerade entstandene Leben!
Ace Merrill hatte den Ruf ebenso vernommen wie die allermeisten Bewohner Osceolas. Wahrscheinlich sogar lauter und deutlicher als alle anderen.
Aber er hatte sich ihm verweigert, war ihm nicht mit der hündischen Ergebenheit gefolgt, wie diese anderen Kreaturen es getan hatten.
Kreaturen...
Kreaturen waren die anderen schon immer für ihn gewesen – auch vorher, ehe er wirklich über sie gestellt worden war, weil er ihr
Leben
nicht länger teilen musste. Armselige Geschöpfe in einer armseligen Stadt, in der es nur einen Grund zu leben gab – für ihn jedenfalls war das so gewesen, weil er als einer der wenigen begriffen hatte, was in Osceola Sache war. Und jetzt hatte er dieses hehre Ziel endlich erreicht, war ihm die Ehre schließlich zuteil geworden.
Er, Ace Merrill, hatte an
seine
Seite treten dürfen. War zu
seinem
Diener geworden.
Ace lachte – und sein Lachen klang so hässlich, wie sein narbiges Gesicht dabei aussah: eine wahnverzerrte Maske.
Seiner
wahrhaft würdig...
Aus einer Gasse zwischen zwei schmutzigen Backsteinbauten heraus beobachtete er die anderen, die treu und brav dem Ruf folgten. Wie Ratten, die Abfall witterten, strömten sie zu
Stoker's
hinüber.
Sollten sie ruhig. Er hatte keine Lust dazu. Und der Herr war hundertprozentig vollauf damit beschäftigt, diese Horde anzuleiten, so dass er, Ace, sich anderen Dingen widmen und einen kleinen Alleingang erlauben konnte.
Ein Schlückchen in Ehren...
Ace Merrill grinste, ein bisschen gequält, als hätte der Gedanke genügt, den Brand in ihm stärker anzufachen. Der Durst schien sein Gedärm zu entflammen. Es wurde verdammt Zeit, etwas dagegen zu tun.
Er wartete, bis auch der letzte der Gerufenen – und auch die beiden Fremden – im
Stoker's
verschwunden waren. Dann startete er die Harley, auf der er saß. Aufröhrend wie ein wütender Büffel schoss die Maschine aus der Gasse hinaus.
Dennoch ließ Ace Merrill das Motorrad eher gemächlich durch die Stadt rollen.
Er suchte, witterte. Es sollte ein ganz besonderes Tröpfchen sein in dieser Nacht...
Und Ace Merrill wurde fündig.
Leichenblass und schweißglänzend lag Kristin Tewes auf dem, was vor kurzem noch ihr Ehebett gewesen war.
Jetzt tränkten Blut und rotschlierige Flüssigkeit Matratze und Laken. Und zwischen ihren Schenkeln spürte Kristin Tewes, ihren Blicken entzogen, ein noch warmes – Etwas.
Wie lange würde es dauern, bis es kalt wurde, bis der Tod seinen Tribut forderte?
Denn dass ihr Baby tot zur Welt gekommen war, daran zweifelte Kristin nicht, obwohl sie das Kleine noch nicht einmal gesehen hatte, nachdem sie es aus ihrem Leib herausgepreßt hatte, unter den schlimmsten Schmerzen, die sie je hatte durchleiden müssen. Es hatte sich nicht bewegt, und es rührte sich auch jetzt noch nicht, da bereits etliche Minuten, die sich zu Ewigkeiten aneinandergereiht hatten, vergangen waren.
»Vielleicht«, kam es müde und tonlos über Kristin Tewes' Lippen, »ist es gut so. Dir ist ein Leben in Osceola erspart geblieben, mein Baby...«
Ein Leben in Osceola...
Das war es, wozu sie und Darren ihr Kind verdammt hätten im Leichtsinn ihrer Liebe. Es war schlimm genug, dass sie Geordi dieses Schicksal aufgebürdet hatten. Aber sie hatten damals wenigstens ein Kind haben wollen, sich die Illusion schaffen wollen, das Glück einer Familie zu erleben. Obwohl es wirkliches Glück nicht für sie geben konnte, nicht in dieser Stadt...
Darren...
Er war fortgegangen. Wohin? Warum?
Der Gedanke verkümmerte in Kristins Denken...
Niemand wusste wirklich, was es war, das das Leben in Osceola zum Fluch machte. Aber ebenso konnte sich ihm niemand entziehen. Etwas umgab die Stadt wie ein unsichtbarer Zaun, trennte sie vom Rest der Welt, ohne den Kontakt wirklich zu unterbinden. Es war...
»... Wahnsinn«, flüsterte Kristin. Und je länger sie darüber nachsann, desto näher fühlte sie sich diesem Wahnsinn. Als wäre es die Strafe dafür, ihn erforschen zu wollen –
Die Gedanken drehten sich unweigerlich im Kreis, wenn man darüber nachdachte. Und wenn sie sich einmal zum Kreis
schlossen
, würde es kein Entkommen mehr daraus geben.
Die Aussicht darauf erschien
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