BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
aus Angst, auch aus Stolz. Da Frantisek keine Ansprüche auf die Herde ihres Vaters erhoben hatte, schlug Jiri sich seither recht und schlecht durchs Leben. Er schlief in einem kleinen Stall, was sommers nicht weiter schlimm war. Nur der zurückliegende zweite Winter war brutal gewesen, und um ein Haar hätte Jiri seinen Bruder besucht, um reumütig die Wiederaufnahme in das Haus zu erbetteln, das ihnen eigentlich beiden zustand.
Letztlich hatte er es aber dann doch sein lassen. Dass er seinen Bruder regelrecht hasste, war ihm nie so bewusst geworden wie... in diesen Momenten, da er auf die Lichtfrau zuschritt.
Lichtfrau?
Jiri hielt inne. Sein Magen verkrampfte sich, weil er urplötzlich überzeugt war, dies alles hier entweder nur zu träumen – oder es mit einer Ausgeburt des Wahnsinns zu tun zu haben.
Seines
Wahnsinns! Frantisek hatte ihn oft genug für verrückt erklärt.
Frantisek...
Jiri ballte die Fäuste und stolperte weiter. Als ihm bewusst wurde, dass er den Hirtenstab offenbar verloren hatte, war ihm diese Erkenntnis nicht wichtig genug, um zurückzulaufen.
Noch zehn Schritte... acht... vier...
Die Schönheit der Frau traf und erschütterte ihn wie eine Urgewalt. Seine Fäuste öffneten sich. Sein trockener Mund auch. Ganz kurz glaubte Jiri eine Erklärung für das Leuchten, das dieses Körper umhüllte, gefunden zu haben. Einmal hatte er Leuten zugehört, die von dem Licht erzählt hatte, das im Dunkeln von stark verwesten Toten ausging.
Leichenlicht.
Doch dann erkannte er den Widerspruch in sich: Diese Frau mochte tot sein, aber wenn, dann war sie es erst seit kürzester Frist, denn nichts an ihr zeugte von geringstem Verfall oder gar Verwesung. Sie sah aus, als schliefe sie lediglich.
Und noch etwas war seltsam: Vielleicht narrten ihn nur seine Augen, aber ihr Körper sah wie durchscheinend aus, als käme das Licht von einem Punkt aus ihrem Inneren und durchdringe gläserne Haut.
Nackte
gläserne Haut!
Jiri konnte seine Blicke kaum bezähmen, denn sie gehorchten seinen stärksten Trieben, die von der Nacktheit dieser Frau ebenso geschürt wurden wie von ihrer nie gesehenen Anmut...
Der Hirte kniete neben ihr nieder.
Du Schweinehund!
Verdammt, wie konnte er ausgerechnet jetzt schon wieder an Frantisek denken?
Ich werde ihm den fetten Hals umdrehen...!
Das Blöken der Herde verfolgte auch jetzt noch Jiris Weg. Aber dann setzte es noch einmal aus wie vorhin – als legte eine aus dem Himmel schießende Hand ein dickes, alles erstickendes Tuch über die Häupter der Tiere...
... und Jiri hörte erneut das Gewinsel.
Diesmal war es Flavs Gewinsel!
Flav, der unmittelbar hinter der Lichtgestalt am Boden lag und – das meinte Jiri im Widerschein, den die Frau warf, zu erkennen – gerade dabei war, sich selbst zu verzehren...!
Zwischen zwei Herzschlägen war Jiri wie gelähmt.
Die märchenhaft schöne Frau, die seine kühnsten Vorstellungen sprengte, schien nun hörbar aufzuflackern, begleitet von einem strengen, aggressiven Summen, das Saiten in dem Hirten zum Schwingen brachte, von deren Existenz er bis dahin nichts geahnt hatte.
Irgendetwas in ihm, das finster und schlecht war und nicht – niemals! – verzeihen konnte, schraubte, bohrte und fraß sich mit quälenden Spiralbewegungen an die Oberfläche seines Denkens, ins
Jetzt
und
Hier
.
Frantisek, du...
Der Blick seines Hütehundes traf ihn.
Flavs Augen bettelten, und dieses Flehen schnürte Jiri den Hals eng, erstickte ihn, als versuchte jemand, ein Holz tief hinab in den Rachen zu stoßen. Es sagte:
Töte mich! Schnell, töte mich! Ich ertrage nicht mehr, was ich mir antue. Antun muss...!
Wer zwang ihn?
Was veranlasste ihn, dazuliegen und an seinen Vorderläufen herumzukauen, zuzubeißen, dass die Knochen hörbar splitterten, die Sehnen rissen und – – –
In diesem Augenblick verdunkelte sich die Umgebung, als wären alle Sterne auf einmal verloschen!
Aber Jiri kannte den wahren Grund: Nicht die Sterne, sondern die unglaubliche Frau dort am Boden war erloschen – zumindest das, was sie
ausgeströmt
hatte, dieses düstere, jenseitige Licht...
Im nächsten Moment erstarb auch das Blöken der Schafe.
Und das Gewimmere des Hundes.
Und die Kraft, die Jiri so lange auf den Beinen gehalten hatte.
Die Dunkelheit wurde absolut, und dann stürzte er schwer neben der Frau zu Boden. Dort, wo seine Hand zufällig ihre nackte Haut berührte, leckte ein fahles Gemisch aus in sich gespaltenen, winzigen Blitzen über ihre beiden
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