Bad Hair Years
der Beziehung hat der Volksmund schlicht schlampig recherchiert. Aber so geht’s nicht weiter. Zwar gefällt mir die Münchner Freiheit außerordentlich, aber Geld und was zu tun wär schon auch schön.
Nichts leichter als das, meldet sich genau zu diesem Zeitpunkt die digitale Boheme aus der Hauptzentrale in Berlin mit der unglaublichen These: Es gibt ein Leben jenseits der Festanstellung. Und man braucht noch nicht mal einen Funken Selbstdisziplin, die Dinge regeln sich dann schon. Wusst ich’s doch! Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Berlin Voraussetzung ist, aber der Rest klingt gut. Offensichtlich braucht man für den Anfang nur Laptop, Internet und Stammcafé – hab ich alles. Und während ich mich noch frage, wo dann eigentlich das Geld herkommt, wollen alle anderen wissen, wie ich mir das vorstelle. Das weiß ich jetzt auch noch nicht so genau, aber ich könnte in Zukunft ja nicht nur ins Internet schreiben, sondern auch in Print. Print wirkt, das hab ich mal gehört. Und wie schwer kann das sein? Frauenzeitschriften, zum Beispiel. Es ist ja nun nicht so, als hätte ich keine Meinung zu Cellulite, und eine It-Bag hab ich auch, nein, drei. Da müsste doch was gehen!
Stellt sich raus: Bleibt man bewegungslos auf der Couch mit dem kompletten West-Wing-Box-Set sitzen, dann geht da gar nichts. Das Problem ist: Ich trau mich nicht. Die könnten meine Texte ja ablehnen oder sich totlachen. So harre ich erst mal weiterhin der Dinge, manchmal passiert ja doch einfach so was. »I sit and wait – does an angel contemplate my fate?«, singt derweil Robbie Williams, aber dass der Engelchen sieht, wundert mich nicht. Und überhaupt, seit wann muss ich alles alleine machen, es hat doch bisher auch ganz gut ohne mich geklappt, beziehungsweise auch nicht? Reicht es denn nicht, wenn ich theoretisch alles in trockenen Tüchern habe? Bin ich von allen guten Geistern verlassen? Unzuverlässiges Pack.
Es hilft nichts, ich muss es wenigstens versuchen, das bin ich mir schuldig. Mir und all den Chefs da draußen, die mir sonst wieder auf Gedeih und Verderb ausgesetzt sind. Das Beste wird sein, ich lerne erst mal, wie schreiben überhaupt geht, nämlich nicht nur angeschickert ins Blog, denn so hat sich Tina das bestimmt nicht vorgestellt.
Tina habe ich in Brooklyn kennengelernt, und obwohl sie immer noch dort lebt und ich leider nicht, ist’s so, als wär sie nebenan, wie richtige Freundschaft halt so geht. Muss man auch erst mal hinbekommen. Sie jedenfalls konnte meine stümperhaften Internetversuche irgendwann nicht mehr ertragen, schenkte mir meine eigene Domain und stellte mir vorsichtshalber auch gleich mein eigenes Blog ein, sie kannte mich damals schon sehr gut. Heute ist sie bekannt als swissmiss, hat einen Mann und zwei Kinder und pro Tag circa hundert Ideen, von denen sie achtzig umsetzt. Ich erzähle das, weil Vorbilder wichtig sind und Tina zudem nicht ganz unschuldig daran ist, dass ich jetzt tatsächlich zwischen Buchdeckeln rumschwurbel. Außerdem wollte ich immer schon jemanden, von dem ich sagen konnte: »Hey, ich kannte die schon, da war die noch festangestellt!« Bisschen angeben muss erlaubt sein, ist schließlich mein Buch.
Wozu gibt es die Volkshochschule, denke ich also, aber dann passiert mir das:
»Hallo, ich bin die Marianne, und ich schreib immer so Geschichten aus meinem Alltag, mir passieren immer so total verrückte Sachen, das schreib ich auf und schick es an meine Freunde, also so per E-Mail, und die finden das alle immer wahnsinnig lustig. Sonst hab ich keine Erfahrung. Mein Lieblingsbuch ist Der kleine Prinz .« Ich schlucke schwer an meinem Kommentar, ich sehe nämlich auch mit den Augen gut, obwohl ich ganz schön kurzsichtig bin.
Wo ich bin? Ich bin in einem kleinen Raum in einem Haus hinter Schwabing. So sieht der Raum aus: zirka zwanzig Quadratmeter, Tische in U-Form, hinten eine Ikea Küchenzeile mit Ikea-Geschirr, alles in Neonlicht. Davon bekomme ich schlechte Laune, kein Mensch braucht Neonröhren, wer will schon jede Pore ganz genau sehen? Ich habe mich so in die U-Form gesetzt, dass ich aus den zwei großen Fenstern schauen kann, es macht mich nervös, eine Wand vor meinem Gesicht zu haben. Ganze Tische in Restaurants müssen meinetwegen regelmäßig Reise nach Jerusalem spielen, nur damit ich nicht auf eine Mauer schauen muss. An besagter Wand hängt eine Korkpinnwand, an der der Plan für den Küchendienst und Einkaufslisten hängen und eine Preisliste, Kaffee kostet einen
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