Bad Hair Years
erledige, gleich morgen, und wie einfach immer alles ist nach drei Gläsern Wein, sensationell. Plötzlich macht alles Sinn, schlafen kann ich auch, ein neongelbes »Genau! So könnt’s gehen!« fällt in Großbuchstaben vom Himmel, und ich bin wieder eins mit mir und der Welt. Darauf muss ich sofort noch ein Glas trinken. Fast möchte man immer ein bisschen besoffen sein, wäre das nicht so ungesund. Dummerweise sind die Ideen, so bahnbrechend sie in der Nacht auch klangen, am nächsten Morgen weg, elend im dehydrierten Hirn verdurstet. Fortgeschrittene versuchen es mit Block und Stift neben dem Bett, das bringt aber nichts. Man benutzt zu viele Ausrufezeichen, und der Rest ist schlicht nicht zu entziffern. Im Großhirn pulst ein halb ersticktes »Wasser!«, und dann muss man wieder von vorn anfangen. Mit dem Denken, nicht mit dem Saufen. Ich hätte jetzt wirklich sehr gerne ein Bier.
»Die braucht endlich einen Job.«
»Mmmh, Bier!«
»So geht’s auf keinen Fall weiter. Ich leg ihr mal die Stellenanzeigen raus.«
»Bier her, Bier her, oder ich fall um!«
»Würdest du jetzt endlich mal mithelfen!
Muss ich immer alles alleine machen!«
»Schon erledig t, beruhig dich.«
»Was soll das heißen, schon erledigt?«
»Wirst schon sehen. Ich hab schließlich meine Connections.«
»Oh, Gott.«
»Du sollst nicht immer ›Gott‹ sagen!
Jetzt ist mir wieder schlecht!«
Bier vor vier
Ich brauche wirklich ein Bier, und da ist Berta, die Wirtin der Saustubn, die einzig richtige Adresse. Ihre Kneipe ist das öffentliche Wohnzimmer hier im Viertel, ich saß da schon ungeschminkt mit Brille, das erklärt ja wohl alles. There goes the neighbourhood, genau.
Zwei Tage später stehe ich mit drei Tellern in den Händen zwischen Küche und Tresen und zögere. »Fünf! Tisch fünf!«, hallt es aus der Küche, aber selbst unter Folter würde mir nicht einfallen, wer das Essen bestellt hat oder wo genau im Lokal sich Tisch fünf befindet. Ich war hier bisher nur Gast, mir doch egal, ob die Tische nummeriert sind. Zudem habe ich sehr lange keine drei Teller mehr gleichzeitig balanciert, das Salatdressing läuft mir jetzt schon in den Ärmel, dabei bin ich noch keine fünf Schritte gelaufen. Fünffünffünf, als ich glaube zu wissen, welcher gemeint ist, bringe ich schnell das Essen dahin. Keine Sorge, die schreien dann schon: »Nein, nein, ich wollte keinen Salat, ich wollte ein Schnitzel. Vor zwei Stunden.«
Warum ich plötzlich Schnitzel rumtrage? Jetzt denkt doch mal mit.
»Du würdest mir wirklich einen Riesengefallen tun«, meint Berta, als ich wieder einmal nutzlos und schlecht gelaunt an der Bar rumhänge. »Berta«, sage ich. »Du spinnst. Ich habe das letzte Mal vor ungefähr hundert Jahren gekellnert, und da war ich noch jung und hatte Nerven.«
»Aber das Geld brauchst du immer noch«, pariert sie.
»Ich weiß nicht mehr, wie das geht! Außerdem muss ich dauernd zu Vorstellungsgesprächen, das Arbeitsamt nervt, ich habe gar keine Zeit«, versuche ich es weiter, »manchmal muss ich auch tagelang verzweifeln, außerdem bin ich zu alt! Ich muss mir die Falten aus dem Gesicht schlafen, weil ich mir Botox nicht leisten kann, davon abgesehen ist das Nachtleben schon anstrengend genug, wenn man mir den Wein bringt.«
»Tagsüber!«, lautet die Antwort. »Tagsüber! Damit du endlich weg von der Straße bist.«
Das ist natürlich eine bodenlose Unverschämtheit, ich würde so was niemals auf mir sitzen lassen, würde es denn nicht stimmen. Die Wahrheit ist: Ich möchte nicht mehr kellnern, ich habe lange genug Bier durch Diskotheken, so hieß das damals noch, geschleppt, und ich kann es nicht leiden, wenn mein Leben sich wiederholt. Leider gehen mir jetzt die Argumente aus, ich bin immer noch arbeitslos, New York ist weit weg, außerdem mag ich Berta, und warum sollte ich nein zu leicht verdientem Geld sagen?
Sagte ich leicht verdient? Denkste, Puppe. Tagsüber ist der Job erheblich stressiger als nachts, tagsüber sind nämlich nicht alle Gäste grau, haben aber viel mehr Hunger, nur leider nicht so viel Zeit. Schon gar nicht in diesem Viertel, das sich gerade anschickt, jetzt aber auch endlich schick zu werden. Egal, harte Zeiten kosten erst recht Miete, da werde ich wohl wieder ein paar Bier rumtragen können. Hauptsache, es kommt niemand, den ich kenne. Was in dieser Kneipe so wahrscheinlich ist wie ein »aber wirklich nur einen Wein!« von mir.
Bisschen Bier rumtragen, pff, beruhige ich mich, als ich pünktlich
Weitere Kostenlose Bücher