Bad Hair Years
verteilen oder meine Jeans in braune Reiterstiefel zu stopfen?
»Ach, schau, wie schön und gemütlich! Wenn jetzt noch das neue Sofa geliefert wird! Toll!«
»Pfff.«
»Sie sollte noch ein paar Kerze … bitte?«
»Mir egal. Ich brauch kein Sofa. Sofa Schmofa.«
»Freust du dich denn gar nicht? Schau mal, man kann sogar die Berge sehen!«
»Scheiße. Alles scheiße hier.«
»Hör auf zu fluchen! Wenn sie dich hört!«
»Wie oft denn noch? Sie kann uns nicht hören! Scheiße. Denkt sie doch auch!«
»Tut sie nicht!«
»Tut sie doch! Ich will heim nach New York.«
»Du spinnst wohl. Wir haben gerade ein Sofa gekauft!«
»Scheiße.«
Steh neben mir. Wenigstens bin ich in guter Gesellschaft
Man glaubt nicht, wie schnell eine Wohnung eingerichtet ist, wenn man kein Geld hat. Man glaubt auch nicht, wie schnell einem langweilig wird, wenn man keinen Job hat. Ja doch, ich könnte Italienisch lernen, jetzt, wo ich endlich Zeit habe. Ich könnte auch drei Monate in Asien rumtingeln und mich selbst finden, aber ich hab ja kein Geld. Außerdem will ich nicht wegkommen, ich will endlich ankommen. Ich könnte mich auch weiterbilden und zweihundert Bewerbungen am Tag schreiben, oder ich sollte mich endlich darum kümmern, dass ich keine Bewerbungen mehr schreiben muss, es sind sowieso weder Umschläge noch Briefmarken im Haus. Das alles und noch viel mehr könnt ich machen, aber Rio Reiser ist leider auch schon tot.
Ich will keine Sekretärin mehr sein, aber der Gedanke allein scheint mal wieder nicht zu reichen. Wie wird man eigentlich freiberuflich und mit was? Ich weiß es nicht, und so bleibe ich meinem Naturell treu und zermartere mir weiterhin Tag und Nacht das Hirn. Ob das richtig war, New York zu verlassen? Bin ich doof? Was mach ich hier eigentlich? So komm ich nie auf einen grünen Zweig. Andererseits, was soll ich auf ’nem grünen Zweig, ich bin ja kein Spatz.
Glücklich die, die wissen, was sie wollen und danach handeln, denn ihrer ist das Himmelreich. Ich kann jetzt entweder ganz pragmatisch To-Do-und-Haben/Soll-Listen erstellen, wäre ich so veranlagt, oder aber einfach auf höhere Mächte vertrauen. Auftritt Schicksal, Universum, Zufall und das ganze Zeug, Philosophy à gogo. Das klappt hervorragend und beruhigt immens, Verantwortung für das eigene dumme Tun abzugeben, obendrein an so schicke Adressen wie das Universum höchstpersönlich. Das Perfide daran: So lässt sich einiges erklären und ich kann die Schultern zucken und mich noch mal ein Stündchen hinlegen. Selbst wenn offensichtlich alles derart den Bach runtergeht, dass jeder halbwegs vernünftige Mensch vierundzwanzig Stunden am Tag den Kopf gegen die Wand knallen möchte, selbst dann darf man sich entspannt zurücklehnen. Alles nur die Vorbereitung vom Universum auf etwas Besseres, Schöneres, der Weg ist das Ziel. Man braucht nur Geduld und Vertrauen, dann wird alles gut. Was ich aber gerne mal wissen möchte: wann denn ungefähr?
Denn zwar unternehme ich zaghafte Versuche in Richtung freiberufliches Arbeiten, das allerdings hauptsächlich im Kopf. Wenn ich die Wohnung verlasse, sehe ich staunend die vielen neuen Läden überall in der Stadt, in denen Wollmützenträger vorne Coffee to go verkaufen, hinten Yogastunden anbieten, nebenbei Dekozeug aus Filz anfertigen und ansonsten auf ihren Macs rumtippen. Dann werde ich ein bisschen neidisch und gehe wieder nach Hause. Ich spreche wenig und versuche höchstens, meinen Kühlschrank zu philosophischen Diskussionen zu überreden. Mein Kühlschrank ist nicht von Bosch, und ich heiße nicht Axel Hacke, vielleicht antwortet er deshalb nicht. Vielleicht kann er mich auch nicht leiden, ich füttere ihn viel zu selten.
Ein solches Verhalten kann einem schon mal passieren, wenn man die Heimkehr nach Jahren in der Fremde unterschätzt. Selbst, wenn zu Hause noch alles beim Alten scheint, man selbst ist nicht mehr die Alte, man sieht an manchen Tagen höchstens alt aus. Die Heimat kneift wie eine zu eng gewordene Jeans ohne Stretchanteil, anstatt aber einfach weniger zu essen, verzweifelt man an der womöglich falschen Entscheidung und quält sich hauptsächlich mit der Frage, auf welcher Seite das Gras nun aufregender ist. So schief kommen dann sogar die Redensarten daher.
Alkohol ist in solchen Phasen leider fatal. Das weiß man, macht aber trotzdem eine Flasche Wein auf, also ich schon, ihr könnt das für euch gerne jederzeit empört leugnen. Was ich immer alles kann und was ich immer alles
Weitere Kostenlose Bücher