Bad Moon Rising

Nervensystem. Schnappschüsse zwischen Zuckungen: Der französische Witwer, der heftig den Kopf schüttelte non, non, non , während sich sein Mund mit Blut füllte; meine Mutter, die die Schnalle an einem hochhackigen Schuh schließt und dann in meine Richtung eine Augenbraue hochzieht, so als wolle sie sich über ihre eigene Schönheit lustig machen – dann macht sie eine schielen- de Idiotenfratze, über die ich lachen muss, die mich aber auch gleichzeitig ein wenig erschreckt, weil die Schönheit für einen Augenblick verschwindet; Jakes Hand neben meiner in Drew Hillyards aufgerissener Brust, während Americas Next Top Model auf dem blutbeschmierten Fernseher schluchzt und jammert; Richard, der in unserem Mietshaus die Treppe hochkommt, an dem Tag, als ich das mit seiner Affäre herausfand, der kleine Wirbel auf seinem Kopf und ich mit dem leeren Gedanken, dass dieser Teil meines Lebens nun vorüber sei; der mexikanische Zuhälter, dessen Gesicht sich bemüht, den Schrecken dessen, was er sieht, zu verbergen …
    Mein Schädel dehnte sich – hielt still – dehnte sich, eine plötzliche flüssige Aufblähung, und das Quietschen und Knacken warf in meinem Kopf ein kleines Feuerwerk. Die Krallen kamen gleichzeitig, ein Gefühl, als würden zehn große Pickel zugleich aufplatzen, der einzige uneingeschränkt angenehme Teil der ganzen Prozedur. Die sich streckenden Oberschenkelknochen drückten mich aufrecht. Endlich war Platz für meine Lungen. Die Haare an meinen Ohrspitzen berührten die Zellendecke. Der letzte Fangzahn wuchs mit einem lächerlich intimen, feuchten Knirschen.
    »Himmel«, sagte Tunner unwillkürlich.
    Walker stand da, beugte sich vor, sah zu mir hinauf, wurde von meiner neuen Hitze geprügelt.
    LOS. TU ES. TU ES.
    Caleb sah mir mit einem Gesichtsausdruck zu, der verriet, dass er diesen Trick noch nie zuvor gesehen hatte. Selbst in seinem Zustand war noch Platz für Verwunderung. Stirb nicht , schickte ich ihm als Botschaft, auch wenn ich wusste, dass er sie nicht hören würde. Schwer, sich auf dem Höhepunkt des Hungers zu konzentrieren. Schließlich waren hier drei Menschen, warm, saftig, voller essbarem Leben, einer von ihnen gefesselt, angekettet und vollständig der Gnade ausgeliefert, die ich nicht hätte versprechen dürfen. Ich tat einen Schritt auf ihn zu. Ich konnte den ersten Bissen von den Fußsohlen aus kommen spüren, eine Bewegung wie der Aufschlag eines Tennisspielers: Anspannung; Wurf; der festgehaltene Augenblick des höchsten Punktes, ob Ball oder Schnauze – dann der Abstieg und der Zugriff der Kiefer wie die Wucht des Schlägers. Wie war ich nur auf den Gedanken gekommen, ich könne mich zurückhalten?
    Aber die Werwölfin hatte, wie sich herausstellte, ihre eigenen Bereiche. Meine Kinder waren auch ihre Kinder – und sie wollte sie zurück.
    GENAU. SCHNELL.
    Zum einen, um die aufgestaute Energie loszuwerden, zum anderen, um die Aufmerksamkeit der Jäger weiter zu kontrollieren, warf ich den Kopf in den Nacken, öffnete die Schnauze und heulte. Gut für mich (die letzten gefangenen Bläschen Mensch platzten), schlecht für sie: Der kleine Raum hielt den Lärm fürchterlich gefangen, misshandelte die menschlichen Tiere, prügelte sie durch. Tunners Zoogestank änderte sich erneut, irgendein Pheromon, das verriet, dass sich die Angst aufstaute. Ich sprang die Stäbe an und knurrte. Tunner sprang unwillkürlich zurück, obwohl die Abstände der Stäbe zu schmal für mich waren, um mehr als eine Hand hindurchzuzwängen. Murdoch zuckte nicht mal. Ich malte mir aus, wie ich mich auf ihn stürzte, eine Hand hielt ihn an der Kehle, in der anderen baumelten seine leichthin abgerissenen Geschlechtsteile über seinem Gesicht. Sein Fleisch würde all die Düfte der Gewalt in sich tragen, dazu den schwermütigen Gestank seines verkehrten Lebens. Wolf wollte ihn, die tosenden Energien, die sich in seinem Blut stauten, die obskure Kindheit, das rätselhafte Herz, einsam wie das des Teufels. Die Werwölfin wollte es so, wie ich (und meine Mutter vor mir) es wollte: Zuschauen, ganz gleich, welche Schrecken es barg, wenn zuschauen denn möglich war.
    Murdoch stand nur da. Er hatte wohl damit gerechnet, dass ich mich sofort nach Ende der Verwandlung auf Walker stürzte. Nun räumten die glasigen blauen Augen leichte Verwirrung ein. Ich machte ein paar Sekunden eine Riesenschau daraus zu knurren, mit den Zähnen zu knirschen und herumzufuchteln – dann hörte ich abrupt damit auf.