Bad Moon Rising
sagte er leise. Mit dem schmutzigen braungoldenen Bart sah er aus wie Johannes der Täufer.
»Ja«, räumte ich ein. »Das werde ich letztendlich. Ich werde ein paar Stunden durchhalten, aber wenn nichts geschieht, dann werde ich dich früher oder später töten.« Ich beugte mich vor und flüsterte ihm ins stinkende Ohr. »Aber es wird etwas geschehen. Vertrau mir.«
DU WEISST, WAS DU ZU TUN HAST.
Walker machte den Mund auf, aber ich legte ihm meine Finger vor die aufgeplatzten Lippen. »Schsch«, machte ich. »Nicht reden. Nur ausruhen.«
Alles schön und gut, aber der Geruch seines Fleisches und die Hitze seines Blutes taten Wolf nicht gut. »Ruh dich aus«, wiederholte ich. »Es dauert nicht mehr lang.«
Ich stand auf, wickelte meine Arme um mich und sah auf den Wecker.
Noch zwei Stunden und 45 Minuten.
45
In den wirren Sekunden vor der Verwandlung wachte Caleb auf. Es ging ihm noch schlechter. Seine Haut war fast durchsichtig. Es hätte mich nicht überrascht, wenn ich ein inneres Organ hätte zucken oder zittern sehen. Der Blutkreislauf war schwarz und pochte, ein Anblick nicht verhandelbarer Wut.
»Sie haben vergessen, ihn zu füttern, Mr Tunner«, schalt Murdoch. »Als wir vorhin hier waren und ich mir eine verbale Ohrfeige abgeholt habe.«
Ich war hinten in der Zelle auf Händen und Knien. Ich hatte schon mit mehr Zuschauern gerechnet, aber es waren nur diese zwei, beide in schwarzen Kampfhosen und T-Shirts, beide bewaffnet, Tunner zudem mit einem Schlagstock.
»Das ist mir völlig entfallen, Sir«, entschuldigte sich Tunner. »So schockiert war ich.«
Anders gesagt mein Fehler. Wenn das innere Chaos nicht gewesen wäre, hätte ich mir vielleicht Sorgen gemacht. Im Augenblick war selbst die strampelnde Erinnerung meiner Strategin, dass wir Caleb lebendig bräuchten, in dem mit sich selbst ringenden Blut verloren. Obskurer Instinkt (sich dem Tod stehend stellen?) hatte Walker auf die Beine gezwungen. Er stand an den Stäben und konnte sich nicht ganz aufrichten. Die Rippen. »Vergiss nicht, was ich dir gesagt habe«, mahnte ich ihn. »Sieh mich an. Vergiss es nicht. Vertrau mir.«
Sein zerschundenes Gesicht lächelte schwach.
»Vertrau mir«, wiederholte ich – und erstarrte dann.
Der Wecker schrillte.
Oh.
Jetzt.
Der Mond hatte mich gefunden, legte mir seine Herrschaft auf den Gaumen und über die ganze Wirbelsäule und wie eine feste, erfahrene Hand zwischen die Beine. In dieser Berührung lag eine kleine lachende Ermahnung, dass ich es gewagt hätte, in die Tiefe zu gehen; darin lag auch eine leichte Verhöhnung der Erde selbst, die ja wissen musste, dass sie niemals den Griff des lunaren Geliebten brechen konnte, ganz gleich, wie tief sie mich verschluckte. Wolf holte tief Luft und zerdrückte mir die Lungen. ›Und wenn nichts geschieht, werde ich dich töten. Ja‹, erinnerte mich die Werwölfin, ›das werde ich.‹ Sie war die sprunghafte Erwachsene, ich das Kind, bei dessen Spiel sie leicht amüsiert mittat – bis sie plötzlich genug hatte. Ich werde ein paar Stunden durchhalten. Das, so wies sie mich darauf hin, war eine dumme Behauptung. Sie hatte doch – vergessen? – letzten Monat schon nichts gefressen. Es war längst überfällig. Man schuldete ihr schon zweifach .
»Ich glaube, Sir …«
»Seien Sie still, bitte.«
Der Krankenhauskittel war plötzlich unerträglich (und außerdem geisterte da der Gedanke umher, ich könne ihn noch brauchen, wenn der Plan funktionierte), also zog ich an dem Schnürchen und zerrte ihn von mir. War nackt. Bizarrerweise wirkte das stärkend. Tunners Murdoch-Imperative verhakten: Sollte er einen Scherz machen? Lachen? So tun, als sei nichts passiert? Glotzen? Also blieb er stumm, sperrte den Mund ein wenig auf, gab einen Zoogeruch von sich. Murdoch wiederum nahm die Geste hin, ohne dass seine Aura auch nur zuckte. Sex zählte bei ihm nicht.
Das Blut rauschte, staute, blieb stehen, raste, brach seine eigenen Gesetze, um nicht existierenden Platz zu schaffen für das, was kam. Der erste Schock riss an meinem Rückgrat. Ein voreiliger Fangzahn schoss mir aus dem Oberkiefer und punktierte mir die Unterlippe. Haare wuchsen mit trockenem Seufzen aus der Haut an Rücken, Oberschenkeln, Armen. Knochen taten, was der Fluch ihnen auftrug. Stellen Sie sich all die Plastilinfiguren vor, die Sie geformt haben, um dann an ihnen zu ziehen und zu drehen, bis sie etwas anderes waren; stellen Sie sich vor, jede Zwischenstufe hätte ein eigenes
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