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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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wohl vor der Schöpfung gefühlt haben musste, als er ganz auf sich allein gestellt war, ohne Engel und ohne Zeit, die verging. Zwischen den Wehen herrschte die entsetzliche Tatsache meiner Endlichkeit, der genauen Form und Größe des Körpers, der all das irgendwie zu ertragen hatte. ›Die Hundemama freut sich NICHT über gleißendes Licht.‹ Das stimmte. Auf den Dachbalken des Hauses standen Spots, und aus irgendeinem Grunde hatte Cloquet (weitere Grimassen hatten ihn aus dem Haus befördert, und meinetwegen mochte er auf dem Weg nach Disneyland sein) sie alle brennen lassen. In den Augenblicken, in denen ich nicht Gott war, war mir bewusst, dass sie mir Kopfschmerzen verursachten. Meine Krallen zerfurchten die Eichendielen. Das Blut murmelte und pochte in meinem Schädel. Alle möglichen Kleinigkeiten tauchten mit sinnloser Klarheit auf und verschwanden wieder: das kleine Messingschild auf der Herdtür; Cloquets gelber Straßenatlas USA & Kanada; ein kleiner geschnitzter Bär auf dem Kamin; meine North Face-Jacke über einem Stuhl, aus dessen Tasche ein roter Thermohandschuh lugte. Das Zimmer wirkte wie etwas, das angesichts des blanken Entsetzens blöde grinste. War das der Vietnamese, der vor Entsetzen grinste? Irgendein Film. Platoon oder Full Metal Jacket . Ich bemerkte mein eigenes vollgestopftes Schweigen. Einmal hörte ich im Badezimmer, wo Kaitlyn angekettet war, Metall rhythmisch reiben, dann war es wieder still.
    Keine Ahnung, wie lang es dauerte. Ich drückte, wenn mein Körper es verlangte. Ein- oder zweimal versuchte ich, nicht zu drücken. Ich konnte nicht erkennen, welche Wirkung das hatte, aber ich hatte das Gefühl, an die Grenze dessen gestoßen zu sein, was ich ertragen konnte. Ich weiß noch, dass ich meine Hand zwischen die Beine steckte und zu fühlen versuchte, wie weit offen ich war (mit dem vagen Gedanken: zehn Zentimeter bei Menschen – doppelt so viel?), aber ich konnte es nicht genau sagen, und meine Finger waren nass vor Blut, und außerdem hatte das ja keinen Zweck mehr, ich drückte ja schon. Ich dachte: ›Okay, das war’s. Du stirbst.‹ Sie starb im Kindbett . Wie viktorianisch, passend für Jake. Dann überfiel mich die Realität des Todes – Tod, hier, jetzt, wirklich tot –, und ich hatte außer Schmerzen nur noch Angst. Kümmerliche Angst vor dem Teufel und der Hölle riss auf zu der größeren, neuzeitlichen Angst davor, durch kaltes schwarzes, stilles Nichts zu stürzen, wie ein leerer Fahrstuhlschacht zwischen zwei Universen – für immer.
    Aber man stirbt nicht. Das war der Verrat des Leids. Er brachte einen an den Punkt, über den hinaus nur der Tod lauerte, dachte man, und dann ließ er einen wissen, dass er dich auf ewig dort festhalten konnte. Dann verlor man die Angst vor dem Tod, wollte ihn, flehte um ihn. Ich wusste, wie das ging. Geschieht dir recht. Ungeheuer. Mörderin. Werdende Mutter.
    Ich lag auf der Seite und biss in eins der Tischbeine. Meine Oberschenkel klebten vor Blut. ›In der Austreibungsphase sind die Wehen besonders stark und meist schmerzhaft. Der Kopf des Kindes drückt gegen den Beckenboden, was bei der Gebärenden den übermächtigen Drang auslöst zu pressen.‹ In der Pause vor der letzten Wehe hörte ich Kaitlyn im Bad toben. Dann kam die letzte Wehe, und mit einem scharfen Gefühl und dem Geräusch eines abstreifenden Gummihandschuhs glitt das Baby in einem Knoten aus glänzendem Schleim aus mir heraus.
    In diesem Augenblick krachte Cloquet durchs Fenster und flog über den Fußboden.

8
    Sie waren hier.
    All das Berechnen, Ausweichen und Kontrollieren, alles umsonst, und es gab keine Zeit mehr und keine Kraft. Ich fing an mich zu fragen, wie sie mich gefunden hatten – aber das war gleichgültig. Nur dass sie es getan hatten. Ich drehte mich zu dem Kind um, als der erste Vampir durch das kaputte Fenster hineinsprang. Ich sah kurzgeschnittene graue Haare und ein kleines hübsches Gesicht, bevor er sich umdrehte und ohne groß zu zucken vier Kugeln von Cloquet in die Schulter bekam. Ein unerklärlicher, mir den Atem raubender Druck lastete mir auf Armen und Brust, aber meine Beine waren gewichtslos. Die Haustür sprang auf. Kalte Luft strömte herein, doch was messerscharf und frisch hätte sein sollen, war voll vom Schweinemist- und Gammelfleischgestank der Untoten.
    Trotz alledem musste ich einfach das Baby sehen, seine Existenz erkennen, feststellen, dass es atmete. Mit ungeheuer stumpfsinniger, elefantenhafter Mühe griff

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